Praxis

Gesamtheitlichere Betreuung in Altersinstitutionen dank Sozialpädagoginnen und Sozialpädagogen

Seline Stalder ist Sozialpädagogin und Fachfrau Gesundheit. Seit neun Jahren leitet sie die betreute Wohngruppe Martinshof für ältere Menschen mit psychischen Beeinträchtigungen im AltersZentrum St. Martin in Sursee. Das St. Martin bietet verschiedene Wohn- und Betreuungsformen an – nebst dem betreuten Wohnen auch ein Pflegeheim und Demenzwohngruppen. Seline Stalder plädiert für eine interprofessionelle Zusammenarbeit zwischen Sozialpädagogik und Pflege in Altersinstitutionen, um eine gesamtheitliche Betreuung der älteren Menschen zu ermöglichen.

Foto: Philipp Koch (ImageStudio)
Foto: Philipp Koch (ImageStudio)

Als Fachfrau Gesundheit schätzte Seline Stalder ihre Arbeit im Pflegeheim sehr – ihr fehlte jedoch der Einbezug der psychischen und sozialen Aspekte der Menschen. Darum entschied sie sich für eine zusätzliche Ausbildung in Sozialpädagogik. In ihrer Arbeit mit ganz unterschiedlichen Menschen realisierte sie, dass die sozialpädagogische Unterstützung oft auf die Jugend beschränkt ist – obwohl schwierige Situationen in allen Lebensphasen entstehen können, im Alter zum Beispiel die Auseinandersetzung mit der zunehmenden Fragilisierung und dem Tod. Für Seline Stalder lag es auf der Hand, welch wichtige Rolle die Sozialpädagogik auch in der Altersarbeit spielen kann. Die Suche nach einer Stelle, die dieser Überzeugung Rechnung trug, erwies sich als schwierig. Bis sie sich beim AltersZentrum St. Martin in Sursee meldete. Das war vor über neun Jahren.

«In allen Lebensphasen können schwierige Situationen entstehen. Darum gehört die sozialpädagogische Unterstützung nicht nur in die Jugend-, sondern auch in die Altersarbeit.»
Seline Stalder

Das AltersZentrum St. Martin war interessiert am Profil der Fachfrau, die Gesundheit und Sozialpädagogik kombiniert. Die Erfahrung der Jahre auf der Wohngruppe Martinshof haben Seline Stalder darin bestärkt, dass genau diese Kombination einen wichtigen Beitrag leisten kann, um die Selbstständigkeit der älteren Menschen zu erhalten oder wieder zu fördern. Wie zum Beispiel beim 64-jährigen Bewohner, der nach mehreren Aufenthalten in der Psychiatrie in die sozialpädagogisch betreute Wohngruppe eintrat. Nach einiger Zeit reduzierten sich die Aufenthalte in der Psychiatrie. Die Wohngruppe gab ihm Halt, er fand einen Kreis von Menschen, in dem auch schwierige Situationen Platz haben. Die Betreuungsangebote helfen, die Menschen zu stabilisieren – und das über längere Zeit.

Mehr Pop- statt Volkslieder – die Angebote den Bedürfnissen anpassen

Im Martinshof reichen die Angebote von Beratungen zur Selbstsorge über die gemeinsame Koordination und Gestaltung des Alltags bis zum Ermöglichen von gesellschaftlicher und sozialer Teilhabe. Wochenpläne, gemeinsames Singen oder gemeinsames Essen sollen der Vereinsamung und einer fehlenden Tagesstruktur entgegenwirken. Die Angebote für die Menschen auf der Wohngruppe gestaltet Seline Stalder wenn immer möglich kostenlos oder zumindest möglichst günstig. Trotzdem kommt es vor, dass jemand nicht dabei sein kann, weil das Geld auch für ein günstiges Angebot nicht reicht.

Nicht nur im Martinshof, sondern im gesamten AltersZentrum St. Martin gibt es vielfältige Betreuungsangebote. Da sich die Bedürfnisse verändern, werden diese laufend überprüft und angepasst. Eine Singgruppe beispielsweise sang früher mehr Volkslieder – heute sind es mehr Poplieder. Manche Bewohnerinnen und Bewohner möchten am Dorfleben teilnehmen. Sie können mit ihren Ideen und Anliegen auf Seline Stalder zugehen und erhalten von ihr Hinweise, wie sich diese umsetzen lassen.

In der personenzentrierten Arbeit ist die Zielfindung nicht immer einfach – gerade bei älteren Menschen mit Depressionen oder langjährigen Krankheiten, die keine Vorstellung davon haben, was sie in ihrem Leben noch machen möchten. Seline Stalder versucht mit jedem Menschen herauszufinden, was ihm Freude machen könnte. Bei vielen kehrt die Freude mit der Zeit zurück, doch oft ist es ein langer Prozess bis dahin.

«Wir müssen offener darüber reden, was ältere Menschen brauchen. Sie haben nicht nur das Bedürfnis nach körperlicher Pflege – auch wenn das in der Politik und in der Gesellschaft die vorherrschende Meinung zu sein scheint.»
Seline Stalder

Mehr als ein alternder Körper – ganzheitliche Betrachtung

Seline Stalder wünscht sich, dass offener darüber geredet wird, was ältere Menschen brauchen. Denn sie haben nicht nur das Bedürfnis danach, körperlich umsorgt zu sein – auch wenn das in der Politik und in der Gesellschaft die vorherrschende Meinung zu sein scheint. Noch viel zu oft stehen die psychischen und sozialen Bedürfnisse der älteren Menschen im Hintergrund, zum Beispiel wenn sie sich ins gesellschaftliche Leben integrieren wollen. Hier leistet die Sozialpädagogik einen Beitrag an die gesamtheitliche Betrachtung eines Menschen. Das ist auch Seline Stalders Aufruf an die Altersinstitutionen: Es lohnt sich, nebst Pflegefachfrauen und Pflegefachmännern auch Sozialpädagoginnen und Sozialpädagogen einzustellen.

AltersZentrum St. Martin, Betreute Wohngruppe