Rückblick Städteverband
Eine enorme Vielfalt und der Bedarf an politischer Überzeugungskunst
40 Exekutivmitglieder und Fachverantwortlichen der Städte aus der ganzen Schweiz haben sich am 11. Dezember auf Einladung des Städteverbandes Schweiz und der Paul Schiller Stiftung zu einem Austausch rund um «Gute Betreuung im Alter in der Stadt» getroffen. Neben einem Grundlagenreferat von Prof. Carlo Knöpfel haben die Einblicke in bestehende Aktivitäten eine enorme Vielfalt gezeigt, wie sich Städte im Thema engagieren. Die politische Überzeugungsarbeit auf allen föderalen Ebenen ist wichtig, um eine gute Betreuung für alle sicherzustellen.
Mehr als doppelt so viele Menschen über 65 Jahren wird es im Jahr 2050 in der Schweiz geben: 2.6 Mio. Anhand der Zahlen des Bundesamtes für Statistik macht Prof. Carlo Knöpfel noch einmal eindrücklich klar, was vermeintlich alle wissen: Wir stehen vor einer grossen demografischen Veränderung. Die Auswirkungen dieser Veränderung werden noch verstärkt durch den sozialen Wandel. Die Frauen sind deutlich stärker im Arbeitsmarkt engagiert, Familien wohnen weiter auseinander und ein beachtlicher Anteil der älter werdenden Menschen ist alleinstehend oder ohne Kinder. Wenn wir berücksichtigen, dass immer mehr Menschen immer älter werden, ist es wichtig, sich im Klaren darüber zu sein, dass sie dadurch nicht zwingend mehr Pflege brauchen. Der hohe Pflegeaufwand ist häufig auf die letzten Lebensjahre beschränkt. Was sie im Fragilisierungsprozess brauchen, ist Betreuung, die ihnen ein selbstbestimmtes Altwerden ermöglicht. Dies hat auch der neuste Bericht des Bundesamtes für Sozialversicherungbestätigt.
Grosse Vielfalt an Massnahmen auf kommunaler Ebene
Vier unterschiedlich grosse Städte geben Einblick, wie sie die gute Betreuung der älteren Bevölkerung zu stärken versuchen.
- Neuchâtel arbeitet mit einem Hitzeplan und nutzt diesen als Kontaktaufnahme. Im Fall einer Hitzeperiode kontaktieren sie alle Seniorinnen und Senioren der Stadt persönlich, um sich nach ihrem Wohlergehen zu erkundigen. Gespräche werden bewusst in Ruhe durchgeführt, die Telefonierenden sind geschult und der Austausch wird genutzt, um weitere Informationen auszutauschen. So wirken die Telefonate weit über die eigentliche Hitzeperiode hinaus. Mit den Cafés «Rencontre» in den Quartieren verfügt die Stadt zudem über ein weiteres niederschwelliges Angebot, wo sich ältere Menschen informieren, vernetzen und ihre Bedürfnisse äussern können.
- In Lausanne wurde der Klimaplan der Stadt genutzt, um auch einen wichtigen Beitrag zur Prävention von Einsamkeit und Immobilität zu leisten: Die ÖV-Tarife wurden für EL-Beziehende um die Hälfte reduziert. Für 80.– Franken im Jahr kann das ganze städtische Netz genutzt werden. Für viele Seniorinnen und Senioren ein wichtiger Beitrag für ein selbstbestimmtes Leben trotz knapper Mitteln. Als aufmerksame Beobachterin hat die Stadt auch bemerkt, dass viele der Kurs-Angebote im Juli und August pausieren – weil die Kursgebenden in der Sommerpause sind. Viele ältere Menschen bleiben aber hier und verlieren so wichtige soziale Austauschgefässe und auch Bewegungsmöglichkeiten. Die Stadt springt ein und ergänzt das Angebot mit Sommerkursen.
- Horgen zeigt auf, wie sie ihre Altersarbeit als integrierte Versorgung gestaltet, um eine lückenlose und massgeschneiderte Betreuung im dritten und vierten Lebensalter sicherzustellen. Seit 2014 betreibt die Stadt die «Anlaufstelle Alter und Gesundheit» und koordiniert alle Angebote zentralisiert. Die Anlaufstelle hat ihr Büro bewusst nicht in der Gemeindeverwaltung, sondern befindet sich im Begegnungszentrum «Baumgärtlihof» direkt vor Ort bei den Leuten. Die Methoden und das Wissen aus den sozialen Berufen spielen eine grosse Rolle, um ältere Menschen zu erreichen, ihre Ressourcen zu stärken und mit ihnen gemeinsam auf Augenhöhe die nächsten Schritte und Möglichkeiten zu entwickeln. Ein besonderes Angebot der Anlaufstelle sind die Siedlungs- und Wohnassistenz, die in den Quartieren wirken. Sie unterstützen das zu Hause wohnen bleiben von älteren Menschen.
- Die Stadt Bern war die Pionierin, die mit ihren Betreuungsgutsprachen als erste eine Finanzierung von Betreuung eingeführt hat. Das Pilotprojekt wurde im Sommer 2023 in die Regelstruktur überführt und ermöglicht Menschen mit tieferen Einkommen, zusätzliche Gelder für Betreuungsleistungen zu erhalten. Zentral dabei ist die langfristige Begleitung der Menschen – vom Erstkontakt über die Bedarfsabklärung bis hin zum Bezug der Leistungen. Nur so können bei Menschen, die zuerst keine Hilfe annehmen wollen, dem Staat nicht zur Last fallen wollen oder von der Auswahl des konkreten Angebotes überfordert sind, Hürden überwunden werden.
In der Diskussion zeigt sich, wie wichtig es ist, die politische Diskussion von Anfang an mitzudenken und zu integrieren: Einerseits muss faktenbasiert mit den Bevölkerungsszenarien aber auch den Kosten, die ohne eine gute Betreuung anfallen, argumentiert werden. Andererseits ist es oft eine grosse Herausforderung, alle älteren Menschen zu erreichen. Hier zeigen Beispiele aus einzelnen Städten den grossen Erfolg von aufsuchender und mobiler Altersarbeit an den Orten, an denen sich ältere Menschen aufhalten und wohnen, unterwegs sind. Wichtig ist auch, neue Projekte und Angebote mit einem langen Zeithorizont zu planen: Der Vertrauensaufbau braucht Zeit, neue Routinen müssen sich zuerst einspielen, die Mund-zu-Mund-Propaganda zuerst wirken können.
«Seien wir etwas avantgardistisch!»
Die grosse Vielfalt an Angeboten in den Städten bietet Inspiration für alle. Der Städteverband und die Paul Schiller Stiftung hoffen, dass die Besuchenden durch Austausch und Vernetzung entsprechend in ihrem Engagement bestärkt wurden und die neuen Ideen politische Debatten vorantreiben, damit die konkreten Umsetzungsschritte realisiert werden, die es braucht, um für alle eine gute Betreuung im Alter sicherzustellen.