«Gute Betreuung gelingt, wenn man sich für den Menschen als Person interessiert.»

Was ist das Ziel der Stabstelle Betreuung?

Judith Biberstein: Die Stelle ist aussergewöhnlich. Ich kenne keine andere Institution im Altersbereich mit einer eigenen Stabstelle für Betreuung. Zu meinen Aufgaben gehören Sensibilisierung, Schulung, Bewusstseinsbildung und die Verankerung der Betreuung als eigenständigen Pfeiler. Andernorts wird Betreuung meistens als Teil der «Pflege und Betreuung» angesehen. Dies führt dazu, dass man neben der Pflege auch noch ein bisschen betreut. Doch das reicht uns nicht.

Wir haben die Betreuung als eigenständigen Schwerpunkt definiert. Obschon die Zusammenarbeit mit der Pflege sehr eng ist, ist die Stelle nicht der Leitung «Pflege und Betreuung» unterstellt.

Die Betreuung bringt zusätzlich den Hintergrund der sozialen Arbeit ein: Ein Mensch muss in seinem ganzen Lebenszusammenhang und seinen Möglichkeiten gesehen werden, damit gute Betreuung möglich ist. In einem Rollenbeschrieb haben wir Ziel und Zweck der Betreuung zusammengefasst.

Welche Schwierigkeiten haben sich seit dem Start gezeigt?

Die eigentliche Umsetzung steht noch am Anfang. Die grösste Schwierigkeit besteht darin, ein gemeinsames Betreuungsverständnis in einem Themenfeld zu entwickeln, das schwierig einzugrenzen ist. Unser Zielpublikum, das Personal, bringt ganz unterschiedliche Voraussetzungen mit: Ob Koch, Hauswirtschaftshilfe oder Pflegefachkraft HF – alle sollen ein Grundverständnis für Betreuung haben.

Wir haben auch eine «Themengruppe Betreuung», in welcher Mitarbeitende aus allen Teams Fragestellungen rund um das Thema Betreuung bearbeiten. Mit dieser Gruppe arbeite ich für 2023 den Jahresschwerpunkt «Perspektivenwechsel» für das ganze Haus aus. Dieser zeigt 1000 Möglichkeiten auf, die Betreuung anzugehen. Es geht um vielfältige Aspekte: Wie komme ich zu einem Verständnis für mein Gegenüber, damit ich die Betreuung anpassen kann? Woher weiss ich, was seine Bedürfnisse sind? Wie schaffen wir es, dass die ältere Person wirklich die Expertin für ihre Situation ist und nicht wir es besser wissen?

Was hat die Stabstelle Betreuung bisher bewirkt?

Momentan geht es darum in allen Teams unsere Grundlagen bewusst zu machen. Wir diskutieren über die Grundwerte in unserem Haus, etwa unser Menschen- und Leitbild. Wie setzen die Mitarbeitenden dies in ihrem Alltag um? Dazu gehört zum Beispiel, warum wir keine Uniformen tragen und nicht angeschrieben sind. Und wieso jemand auch um 4 Uhr in der Nacht frühstücken können soll und nicht nur zwischen 7 und 9 Uhr. Die Betreuung soll dazu beitragen, dass die Bewohnerinnen und Bewohner ganz normal und selbstbestimmt leben können. Und dafür legen wir nun mit dem gemeinsamen Grundverständnis den ersten Teil eines Fundaments. Darauf aufbauend möchten wir – durch eine personenzentrierte, agogische Betreuung – einen sinnstiftenden, normalisierten Alltag sicherstellen.

An was orientiert sich Ihr Verständnis von guter Betreuung?

Unter «guter Betreuung» verstehen wir, den Menschen zu ermöglichen, ihren Alltag so zu gestalten, wie sie es möchten, und ihnen dort Unterstützung zu bieten, wo sie es brauchen. Dies gelingt nur, wenn man sich für den Menschen als Person interessiert. Und nicht nur darauf achtet, welche Defizite jemand mitbringt und was getan werden kann, um in einem Katalog gewisse Leistungen abzuhaken. Bei Betreuung geht es darum: Was kommt da für ein Mensch? Und was braucht er von mir? Und wie muss unsere Unterstützung aussehen, damit sie für diesen Menschen Sinn macht? Die Grundhaltung muss sein: Wir sind da für die Bewohnerinnen und Bewohner. Und diese sagen und zeigen uns, was sie von uns brauchen. Und sie dürfen auch sagen und zeigen, was sie nicht von uns wollen.

Weitere Informationen: Kompetenzzentrum für Lebensqualität Schönbühl in Schaffhausen