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Zürcher Vorlage zur Stärkung der Betreuung im Alter
Das Sozialamt des Kantons Zürich hat Ende Februar 2023 die Vernehmlassung eröffnet zu einer – aus Sicht der guten Betreuung im Alter – spannenden Vorlage: Der Kanton will die Ergänzungsleistungen (EL) so ausbauen, dass «psychosoziale Betreuung» stärker finanziert werden kann. Dazu schlägt er per 1. Januar 2024 sowohl eine Erweiterung der finanzierten Leistungen als auch eine Erhöhung der Stundenansätze vor. Und er beauftragt die Gemeinden mit der Bekanntmachung und der Abklärung.
«Mit der Anpassung der Zusatzleistungsverordnung [im Kanton Zürich heissen die Ergänzungsleistungen ‘Zusatzleistungen’] soll erreicht werden, dass Bezügerinnen und Bezüger von Zusatzleistungen im AHV-Rentenalter möglichst lange selbstbestimmt und eigenständig wohnen können.» Der Kanton Zürich will dieses Ziel auf gesetzgeberischer Ebene verankern und setzt dazu auf die Anpassung der Krankheits- und Behinderungskosten. Diese sind in kantonaler Zuständigkeit, während die jährlichen EL auf Bundesebene geregelt werden.
Zentrale Inhalte der Vorlage
Der Kanton schlägt damit einen gewichtigen Wandel in der Ausrichtung der EL vor. Aus Sicht des Engagements für «Gute Betreuung im Alter für alle» der Paul Schiller Stiftung sind dabei folgende Aspekte zentral:
- Der Verordnungstext spricht explizit von «psychosozialer Betreuung» und erweitert damit den Blick von rein funktionalen Leistungen hin zu Aspekten wie die psychische Gesundheit und Selbstsorge, soziale und gesellschaftliche Teilhabe, Einsamkeitsprävention und Mobilität.
- Die neu zu finanzierenden Leistungen definiert der Kanton folgerichtig:
«Kosten für Unterstützung bei der Haushaltsführung, psychosoziale Betreuung und Begleitung zu Hause oder zur Wahrnehmung von Terminen sowie auf Spaziergängen ausser Haus zur Erhaltung der Mobilität, zum Kontakt mit der Aussenwelt und zur Prävention von Immobilität, sozialer Isolation und psychischen Krisen.» (§11b, Abs. 2 ZLV Entwurf) - Transportkosten werden breiter als heute finanziert. Das gleiche gilt für Beratungs- und Koordinationsleistungen – ein wichtiger Erfolgsfaktor damit Menschen die Betreuung auch in Anspruch nehmen.
- Die Stundenansätze für die Leistungserbringenden werden erhöht. Damit ist eine Schliessung der heutigen Versorgungslücke möglich:
- 40 Fr. pro Stunde für Personen aus von Gemeinden bezeichneten Organisationen
- 34 Fr. pro Stunde für Personen aus Organisationen, die nicht von der Gemeinde bezeichnet wurden oder die als Privatpersonen Betreuung übernehmen (diese dürfen aber nicht im selben Haushalt leben, analog Assistenzbeitrag)
- 50 Fr. pro Stunde für Spitexmitarbeitende oder Einzelpersonen mit Spitexbewilligungen
- Die Gemeinden erhalten den Auftrag, die Information und Beratung sicherzustellen. Sie können dies selber tun oder Dritte beauftragen. Dasselbe gilt für die Abklärung des Hilfe- und Betreuungsbedarfs.
- Zudem führen die Gemeinden eine Liste mit Organisationen, die zum höheren Stundenansatz Betreuungsleistungen erbringen können («von der Gemeinde bezeichnete Organisationen»). So sind sie in der Lage, das Angebot qualitativ mitzugestalten.
Einschätzung aus Sicht der Paul Schiller Stiftung
Der Kanton Zürich setzt als erster Kanton um, was in der Fachwelt und bei älteren Menschen in den letzten Jahren stark an Bedeutung gewonnen hat: Die psychosoziale Betreuung, vorgelagert und ergänzend zur Pflege, um eine eigenständige Lebensführung und das Mitwirken, Mitgestalten und Teilhaben am sozialen und gesellschaftlichen Leben der alten Menschen zu sichern, auch wenn gewisse Aspekte des täglichen Lebens schwerer fallen. Aus Sicht der Paul Schiller Stiftung ist diese Vorlage sehr zu begrüssen.
Für eine optimale Umsetzung wäre ein einheitliches, fachlich abgestütztes und gleichzeitig pragmatisches Abklärungsinstrument wünschenswert, das einen Dialog auf Augenhöhe mit den älteren Menschen und ihren Angehörigen ermöglicht. Dies würde die Gleichbehandlung der älteren Menschen unterstützen, sicherstellen, dass sämtliche sechs Handlungsfelder einer guten Betreuung berücksichtigt werden, und einen gemeinsamen Standard setzen. Heutige Spitex-Abklärungen, die als mögliche Basis für künftige Abklärungen genannt werden, beachten aktuell den eigenständigen psychosozialen und agogischen Betreuungsbedarf zu wenig, unabhängig vom Pflegebedarf.
Wichtig ist in der Umsetzung, dass die Abklärungsstellen und die umsetzenden Fachpersonen einen angemessenen Handlungsspielraum haben und Angebote ermöglichen, die auf die individuelle Situation und persönlichen Bedürfnisse des älteren Menschen zugeschnitten sind. Dazu gehört beispielsweise auch, dass Transportkosten nicht nur für Therapietermine oder den Weg zu Tagesstätten übernommen werden, sondern auch für Aktivitäten zur Alltagsgestaltung, sozialen Teilhabe und Einsamkeitsprävention (z.B. bisherige Gewohnheiten sowie Besuche bei Freunden und Bekannten ermöglichen).
Eine zentrale Rolle spielen jene Menschen, die die Betreuungsleistungen schlussendlich erbringen. Darum ist bei den Weisungen zur Umsetzung darauf zu achten, dass Soziale Berufe zum Einsatz kommen können. Sie bringen auf unterschiedlichen Ausbildungsniveaus die notwendigen Kompetenzen für die Betreuung älterer Menschen mit – auch in komplexen Situationen. Sie sind Fachpersonen in der Beratung und Koordination und können Freiwillige, Assistenzpersonal und Angehörige unterstützen und coachen.
Dass diese Vorlage auf den ambulanten Bereich beschränkt ist, ist nachvollziehbar – denn das Sozialamt ist nur für diesen zuständig. Wir ermuntern den Kanton Zürich, den eingeschlagenen mutigen Weg fortzusetzen, das präventive Potenzial der guten Betreuung auch im stationären Bereich zu nutzen und dort die Betreuungsfinanzierung zu stärken, um sie nicht rein über die Privatbeiträge der Heimbewohnenden zu finanzieren.
Auf Bundesebene bleibt der Handlungsbedarf bestehen: Es gilt Lösungen zur Finanzierung der Betreuung über die Ergänzungsleistungen und den Ausbau der Hilfslosenentschädigung zu entwickeln, damit auch Menschen ausserhalb der EL-Kriterien zum Zuge kommen. Denn eine gute Betreuung im Alter ist auch für viele Nicht-EL-BezügerInnen nur schwer zu finanzieren.
Die Vernehmlassung läuft bis Ende April 2023 und kann auf der kantonalen Webseite eingesehen werden (Suche mit Stichwort «Zusatzleistungsverordnung»).