«Wir sind bei den Leuten – wie eine gute Nachbarin oder ein guter Nachbar.»

Älter werden bedeutet oft, dass sich der eigene Radius verkleinert. Umso wichtiger wird die nähere Umgebung. Der Verein Vicino Luzern ermöglicht Betreuung durch den gezielten Einbezug der Nachbarschaft. Im Stadtteil Littau wurde aus einer ehemaligen Apotheke ein beliebter Ort, wo sich ältere Menschen treffen und beraten lassen können.

«Was ich nicht verstehe, ist, dass wir hier den Kaffee und alles gratis bekommen. Viele haben da Mühe.» Frau Felder schaut auf und fährt fort: «Wir wollen die anderen doch nicht ausnützen!» An diesem Donnerstagnachmittag sitzt die zierliche Frau an einem kleinen Tisch und schaut verschmitzt in den Raum mit den anderen Seniorinnen und Senioren. Vicino sieht vor, Getränke und Esswaren – heute gibt es Kaffee und Kuchen – kostenlos an die Gäste abzugeben. Diese Regel haben die Besuchenden aber umgestossen. Nun zeigt eine rechteckige Wandtafel, was zur gemeinsamen Verpflegung beigesteuert werden kann – seien dies Linsen für einen Eintopf oder Zimt und Zucker für einen Kuchen.

Den Überblick über die Zutaten behält Esther Helfenfinger, sie leitet den Standort in Littau und lacht über die Anekdote: «Wenn die Gäste etwas mitbringen, übernehmen sie gleichzeitig Verantwortung für die Gemeinschaft – genau dies macht Vicino aus.» Der Verein, dessen Name auf Italienisch Nachbar bedeutet, betreibt zur Zeit drei Standorte in der Stadt Luzern, zwei davon seit 2019: Diese Art von Angebot ist in der Schweiz rar, die Nachfrage aber gross.

Alle haben das gleiche Ziel, nämlich die «Caring Community», die sorgende Gemeinschaft im nachbarschaftlichen Umfeld, zu stärken. Genau deswegen kommt auch Frau Felder zu Vicino. Ihr Mann ist vor einem Jahr verstorben. Hier im «Fanghöfli» kann sie andere Menschen treffen, aber auch mit Esther Helfenfinger über Persönliches reden und sich beraten lassen. Der Ort gibt ihr Halt und Struktur. Helfenfinger hört den Besuchenden zu, macht eine erste Beratung und stellt, wenn gewünscht, einen Kontakt zu spezialisierten Organisationen wie Spitex oder Pro Senectute her.

«Viele unterschätzen, wie aufwendig es ist, das Vertrauen der Menschen zu gewinnen. Darauf baut unsere Betreuung und Beratung auf.»
Esther Helfenfinger, Leiterin Standort Vicino Littau

Bestehendes an die Frau oder an den Mann bringen

So funktioniert Vicino als Triagestelle, vernetzt formelle und informelle Angebote im Bereich Betreuung und Pflege im Alter und macht diese leichter zugänglich – und fügt damit selbst kein neues Angebot hinzu. Vielmehr ist der Verein bestrebt, Bestehendes bekannter zu machen und näher zu den Menschen zu bringen. «Der Standort Fanghöfli ist ideal gelegen: im Zentrum einer grossen Überbauung, in der Nähe der Migros und der Post. So sind wir gut sichtbar und gleichzeitig leicht zu erreichen. Für unser Modell ist der niederschwellige Zugang entscheidend», erklärt Christian Vogt, Co-Präsident von Vicino Luzern.

Der Verein wird von rund 30 Organisationen aus dem Alters-, Sozial- und Wohnbereich mitgetragen – unter den Mitgliedern sind aber auch die Hochschule Luzern für Technik und Architektur und ein Laden für Hörgeräte.

Gemeinsam Sorge tragen

«Wir sind bei den Leuten, mitten im Quartier und für sie da – wie eine gute Nachbarin oder ein guter Nachbar. So bekommen wir vieles mit, bauen Hemmungen ab und vermitteln die einzelnen Fachstellen», führt Esther Helfenfinger aus. «Viele unterschätzen, wie aufwendig es ist, das Vertrauen der Menschen zu gewinnen. Darauf baut unsere Betreuung und Beratung auf.» Währenddessen wird es draussen dunkler. Die Besuchenden jassen, eine Frauengruppe spielt Rummy. Damit leistet Vicino Entscheidendes: Die Besuchenden tauschen sich gegenseitig aus, unterstützen sich, werden selbst Teil der «Caring Community» und stärken so ihr eigenes Selbstwertgefühl.