Stadtgespräche
Gespräche in Städten und in Gemeinden vertiefen die Diskussion über gute Betreuung
Nur mit dem Einsatz aller lassen sich die Herausforderungen der demografischen Alterung in unserer Gesellschaft gut bewältigen. Im Bewusstsein dieser gemeinsamen Verantwortung will die Paul Schiller Stiftung die Betreuung im Alter zum Thema machen und den Dialog vor Ort stärken.
Zahlreiche Schweizer Städte und Gemeinden verfügen über wertvolles Wissen und Erfahrungen im Bereich gute Betreuung im Alter. Wir wollen die im Wegweiser für gute Betreuung im Alter und in der Kosten- und Finanzierungsstudie publizierten Erkenntnisse mit Vertreterinnen und Vertretern aus der Politik, Verwaltung und Fachwelt vor Ort prüfen und weiter vertiefen. Die Paul Schiller Stiftung und der Schweizerische Städteverband laden kommunale Verantwortliche für Altersfragen ein, gemeinsam mit uns einen Anlass zum Thema «Gute Betreuung im Alter» durchzuführen.
Den Anfang dieser Reihe sogenannter «Stadtgesprächen» hat die Gemeinde Thalwil im März 2022 gemacht. Unterdessen folgten vier weitere Städte, Gemeinden und Bezirke, die wichtige Lücken in der Betreuung und Lösungsansätze diskutierten. Daraus resultierten wichtige Impulse für Politik und Altersarbeit.
Rückblick auf die bisherigen Stadtgespräche
Juni 2023
Der Bezirk Küssnacht im Kanton Schwyz ist bereits sehr engagiert im Altersbereich. Mit dem Projekt «Zäme is Alter» nimmt Küssnacht am Programm Socius der Age Stiftung teil. Die Anlaufstelle «Info-Punkt Zäme» unterstützt ältere Menschen und ihre Angehörigen bei sozialen und pflegerischen Fragen und informiert über Angebote. Für komplexe Situationen bietet die Gemeinde in Zusammenarbeit mit der lokalen Pro Senectute ein Case Management an. Die verschiedenen Akteure arbeiten eng zusammen. Mit dem Bezirksgespräch setzen die Kommission für Altersfragen und das Projekt «Zäme is Alter» gemeinsam mit der Paul Schiller Stiftung in der Diskussion den Fokus explizit auf die Betreuung. Das Interesse in Küssnacht ist gross – auch mehrere Seniorinnen und Senioren diskutieren aktiv mit. Das Thema ist wichtig. Denn im Kanton Schwyz wird die Altersquote bis 2050 steigen – noch mehr als anderswo in der Schweiz: In Schwyz wird das Verhältnis 10–64-Jährige zu Über-65-Jährigen 56/100 sein – in der gesamten Schweiz 47/100.
Bezirksrat Toni Schuler bringt es im Begrüssungsgespräch auf den Punkt: Heute wohnt kaum noch jemand im «Stöckli». Angehörige können sich oft zu wenig Zeit nehmen. Und auch die Jass-App auf dem iPad hilft längerfristig nicht gegen Einsamkeit oder eintönige Alltage. Ein grosses Thema in Küssnacht ist zudem der bezahlbare Wohnraum für ältere Menschen. Denn oft ist das Einfamilienhaus mit Seesicht günstiger als eine Wohnung, die ohnehin innert 24 Stunden schon vergeben und nur online ausgeschrieben ist. Aber der Unterhalt ist aufwändig und die Lage am Hang beschwerlich. Und zugleich wünschen sich ältere Menschen, möglichst lange selbstbestimmt in den eigenen vier Wänden wohnen zu können.
Nebst den Grundlagen zur Betreuung im Alter von Prof. Dr. Carlo Knöpfel (siehe Präsentation im PDF) erfahren die Anwesenden von Isabel Heger-Laube von der Hochschule für Soziale Arbeit der Fachhochschule Nordwestschweiz Konkretes über Küssnacht aus der Studie «Alt werden ohne betreuende Familienangehörige». Für die Studie wurden unter anderem ältere Menschen und Altersverantwortliche aus dem Bezirk Küssnacht befragt. Im Fokus der Befragung standen die Bedürfnisse und die Zufriedenheit der älteren Menschen in ihrer Situation – ob mit oder (noch) ohne regelmässige Unterstützung im Alltag. Die Studie formuliert einen Auftrag an Altersarbeit, Politik und Gesellschaft: Ältere Menschen sollen möglichst lange zufrieden leben können. Zuerst ohne Unterstützung, bei zunehmender Fragilisierung ohne administrative, finanzielle oder gesellschaftliche Hürden im Zugang zu Unterstützung und insbesondere Betreuung. Wenn Unterstützung im Alter notwendig wird, muss diese einfach zugänglich und in einer Art und Weise ausgestaltet sein, die es den Menschen leicht macht, sie anzunehmen. Im Fokus stehen dabei die psychosozialen Bedürfnisse des Individuums und ein umsichtiges Gestalten der Angebote, um der Angst vor Bevormundung aktiv zu begegnen, so Isabel Heger-Laube. Darum sollen sich Angebote an den Bedürfnissen älterer Menschen ausrichten – nicht umgekehrt.
Die Studie bestätigt, dass Küssnacht in vielen Punkten schon gut unterwegs ist. Dennoch gibt es Optimierungspotenzial. Beispielsweise in der Verankerung des Begriffs der psychosozialen Betreuung im Altersleitbild oder in der Weiterentwicklung realisierbarer Caring Community-Modelle.
So werden in vier Gruppen konkrete, mögliche Ansätze für den Bezirk eruiert und diskutiert, um «Betreuung» besser zu verankern, die Freiwilligenarbeit zu optimieren, Wohnraum für ältere Menschen zu schaffen – und das alles finanzierbar zu machen.
Die Ansätze aus den Gruppen sind vielfältig: Kurse und Unterstützung für Freiwillige zum Thema Betreuung anbieten, Alterswohnungen mit Betreuungsangebot direkt in Küssnacht schaffen, Wohngemeinschaften aufbauen, ältere Menschen noch aktiver über die Angebote informieren und diese leicht zugänglich machen, das Projekt «Zäme is Alter» weiterführen, Hilfslosenentschädigung erweitern, …
Inspiriert von einer Aussage von Spitaldirektorin Franziska Föllmi-Heusi sind sich alle einig: «Sich kümmern soll wieder cool werden.» Dazu braucht es neue Formen der Caring Community, eine neue Form der Selbstverständlichkeit, dass alle im Bezirk mit anpacken. Und es braucht die notwendigen professionellen Strukturen und ergänzenden Angebote dazu. Denn: Betreuung ist nicht allein Aufgabe von Freiwilligen. Sie ist eine gesellschaftliche Aufgabe und es braucht ein Miteinander von Familie, Nahestehenden, Freiwilligen und Professionellen. Dazu braucht es den Staat, in einer koordinierenden Rolle und um ein Altern in Würde allen Menschen zu ermöglichen, unabhängig vom Portemonnaie und den Familienstrukturen. Auf Gemeindeebene können rasch Angebote geschaffen werden, auch wenn die Rahmenbedingungen auf Bundesebene noch nicht stehen.
Für Frau Statthalter Petra Gamma Grüter steht fest: Die Anwesenden Politikerinnen und Politiker haben Betreuung im Alter nun explizit auf dem Radar und sind sich deren Vielschichtigkeit bewusst. Die Altersstrategie des Bezirks soll um die Dimension der psychosozialen Betreuung ergänzt werden. Und der Wille, auch die Finanzierbarkeit anzugehen, ist im Bezirk Küssnacht vorhanden.
Präsentation von Isabel Heger-Laube (PDF)
Präsentation von Carlo Knöpfel (PDF)
Dezember 2022
Opfikon ist vor allem dank dem Stadtteil Glattpark in den letzten Jahren rasant gewachsen: Hierhin, zwischen Stadt Zürich und Flughafen Kloten, sind 6000 Menschen gezogen – viele von ihnen junge Pärchen mit Kindern. Heute gilt die Stadt mit ihren 21'000 Einwohnerinnen und Einwohnern als eine der jüngsten Gemeinden der Schweiz: Das Durchschnittsalter liegt bei 38,2 Jahren. Und dennoch legt die Gemeinde seit Jahren ein Augenmerk auf die Altersarbeit. So führte Opfikon bereits anfangs 1990 als eine der ersten Gemeinden im Kanton Zürich eine Altersberatung ein. Im Rahmen der Umsetzung seiner Altersstrategie will sich Opfikon nun auch dem Thema Betreuung im Alter vertiefter annehmen.
«Alter betrifft uns alle – aber es trifft alle ganz anders», erklärte Jörg Mäder, der zuständige Stadtrat und Nationalrat, bei der Begrüssung zum Stadtgespräch Opfikon zum Thema «gute Betreuung im Alter». Und sogleich fügte er an: «Zum Altwerden gehören auch einschneidende Ereignisse, bei denen man selber wieder auf die Beine kommt, und andere, bei denen man auf Hilfe angewiesen ist.» In diesen Situationen braucht es die Gemeinde. Und für Mäder ist klar: «In Opfikon wollen wir mehr machen als der Durchschnitt.» Doch er weiss aus seiner Erfahrung als Vorsteher des Ressorts Gesellschaft: Unterstützung zu akzeptieren, fällt nicht jeder Person gleich leicht.
Zunehmender Bedarf an Betreuung
Hier knüpfte Prof. Dr. Carlo Knöpfel von der Fachhochschule Nordwestschweiz mit seinem Vortrag an: «Viele Babyboomer sind mit dem Sozialstaat aufgewachsen und haben an ihn ganz andere Erwartungen als die Generation zuvor. Wir gehen nicht davon aus, dass die eigenen Kinder für uns sorgen werden, sondern dass diese ihr eigenes Leben leben sollen.»
Doch was ist gute Betreuung im Alter? Die Kürzestantwort von Carlo Knöpfel: «Sich Zeit nehmen». Die Erklärung dazu liefert er anhand des Beispiels einer Mahlzeit: «Als Hilfe würden wir einen Mahlzeitendienst bezeichnen, der das Essen liefert, aber gleich zum nächsten Kunden weiterfährt. Doch ältere Menschen suchen den Austausch und möchten ein Gespräch führen. Das entspricht der betreuenden Grundhaltung. Dafür fehlt in der aktuellen Altersarbeit aber die Zeit.» Gute Betreuung gehe noch weiter und beziehe die älteren Personen in die Tätigkeiten mit ein, wenn sie dies wollen und können. Knöpfels nicht alltäglicher Idealfall: «Man bespricht mit der älteren Person, was sie gerne wieder einmal essen möchte, geht mit ihr einkaufen, bereitet mit ihr zusammen das Essen zu und nimmt die Mahlzeit gemeinsam bei einem Gespräch ein.» Somit braucht es für gute Betreuung die Zeit und Kompetenzen von verschiedenen Fachpersonen.
Der Bedarf an guter Betreuung wird in den kommenden Jahren durch den demografischen und sozialen Wandel zunehmen: Die Zahl älterer Menschen steigt weiter an, während gleichzeitig immer weniger Familienangehörige in der Lage sind, Betreuungsaufgaben zu übernehmen. Es fehlt an den nötigen Betreuungsstrukturen. Immerhin scheint Opfikon gut gerüstet: Die Altersstrategie komme dem Verständnis von guter Betreuung schon sehr nahe. Nun gelte es, die nötigen «Investitionen» in die Altersarbeit zu tätigen.
Lücken und Potenziale in Opfikon
Die teilnehmenden Vertreterinnen und Vertreter der Politik, Verwaltung, Institutionen und Seniorinnen und Senioren verorteten danach in Gruppen ganz konkret, wo in Opfikon Lücken und Potenziale bei guter Betreuung bestehen. Vor allem drei der dabei gewonnenen Erkenntnisse wurden anschliessend im Plenum vertieft diskutiert:
- Rahmenbedingungen: Es braucht grundsätzliche Veränderungen, damit Hilfeleistungen vermehrt mit einer betreuerischen Grundhaltung erbracht werden können. Dazu ein konkretes Beispiel: Der Fahrdienst sollte nicht allein für Arzttermine zur Verfügung stehen – sondern auch für Freizeitaktivitäten, wie einen Besuch bei einer Freundin, einen Termin beim Coiffeur oder für den Theaterabend. So kann der Fahrdienst eine wichtige Rolle bei der gesellschaftlichen Teilhabe übernehmen. Allerdings wird der Fahrdienst von Freiwilligen geleistet. Die angedachte Erweiterung muss dem Rechnung tragen und ein neuer Mix aus Freiwilligen und Angestellten würde hier wohl eine spannende und wirkungsvolle Weiterentwicklung ermöglichen. Dafür braucht es ein Coaching und Anleitungen, vor allem für komplexere Situationen.
- Kontaktstelle Betreuung: Eine solche fehlt in Opfikon. Die Anlaufstelle 60+ könnte mit dem klaren Auftrag ausgebaut werden, vermehrt ein Augenmerk auf die Betreuung älterer Menschen zu richten. Dafür gilt es die Beratung zu stärken und eine aufsuchende Altersarbeit aufzubauen, die nahe bei der älteren Bevölkerung ist und als Brückenbauerin zur Stadt und zu Institutionen fungiert. Wichtig wäre auch weiterhin das Netzwerk mit Spitex, Pro Senectute, der Kirche, Freiwilligen etc. zu koordinieren und das Angebot an Betreuungsleistungen weiterzuentwickeln.
- Personalmix: Wer kann gute Betreuung leisten, welche Kompetenzen braucht es dazu? Das Inputreferat und der anschliessende Austausch haben gezeigt, dass es dazu den Raum und die Zeit für die betreuerische Grundhaltung in der Pflege und psychosoziale Kompetenzen für die Qualitätssicherung braucht. Der Einsatz von Fachpersonen Betreuung, Sozialpädagoginnen oder Sozialarbeiter könnte hier wichtige Veränderungen und Entwicklungen ermöglichen. Heime und ambulante Dienstleister (wie Spitex etc.) sollten Stellen für Fachpersonen aus sozialen Berufen schaffen, um dem Betreuungsbedarf älterer Menschen zu entsprechen.
Ausserdem wurde finanzielle Unterstützung für Menschen, die sich keine Betreuung leisten können, sowie ein Konzept gefordert, um in Opfikon gute Betreuung im Alter umzusetzen.
Dieser Nachmittag dürfte bei vielen Teilnehmenden das Bewusstsein für gute Betreuung älterer Menschen geschärft haben. Damit wurde eine wichtige Voraussetzung geschaffen, um möglichst viele der gewonnenen Erkenntnisse umzusetzen. Hilfreich für die anstehende (politische) Umsetzung wird sicherlich sein, dass nebst Jörg Mäder mit Präsident Roman Schmid, Heidi Kläusler-Gysin und Cirilo Pante noch drei weitere Mitglieder des Opfiker Stadtrats sowie vier Mitglieder des Gemeindeparlaments am Stadtgespräch teilgenommen haben.
August 2022
Im Kanton Zug werden 2040 doppelt so viele über 80-Jährige leben wie heute. Damit steigt auch der Bedarf an guter Betreuung. Diese Herausforderung wollen die elf Zuger Gemeinden zusammen angehen. Dafür braucht es ein gemeinsames Verständnis, was gute Betreuung ist und in welche Richtung ein Finanzierungssystem gehen könnte. Unter Mitwirkung der Paul Schiller Stiftung gelang es, an einem Stadtgespräch in Hünenberg Ende August das Thema zu vertiefen.
«Alle Menschen haben ein Anrecht, in Würde alt zu werden. Qualitätsvolle Betreuung ist Teil dieses Anrechts», erklärte Eusebius Spescha von der Paul Schiller Stiftung einleitend in seinem Inputreferat. Eingeladen waren die Vertreter:innen der Konferenz der Sozialvorsteherinnen und Sozialvorsteher (SoVoKo) sowie Leitenden der Abteilungen Soziales und Gesundheit der elf Zuger Gemeinden. Ein Mensch hat mehr Bedürfnisse als nur zu essen, schlafen und seinen Körper zu pflegen. Jeder Mensch braucht auch soziale Kontakte, möchte Wertschätzung erfahren und seinen Interessen nachgehen. Betreuung verfolgt denn auch drei übergeordnete Ziele: Selbstbestimmte Lebensführung, Wohlbefinden und innere Sicherheit.
Heute schon sind viele ältere Menschen auf Betreuung angewiesen, doch sie können sich diese nicht leisten. Und der Betreuungsbedarf wird in den kommenden Jahren ansteigen. Einerseits weil die Zahl älterer Menschen steigt, andrerseits sind weniger Angehörige in der Lage, unbezahlte Care-Arbeit zu leisten.
Auf Basis dieser Grundlagen der Paul Schiller Stiftung diskutierten die Anwesenden lebhaft in Kleingruppen. Wie kommt man in Zug in direkten Kontakt mit den älteren Menschen? Viele, die auf Betreuung angewiesen sind, leben einsam. Einsamkeit aber ist versteckt und selten auf der Strasse anzutreffen. In den Diskussionsrunden tauchten weitere Fragen auf: Wenn sich die Finanzierung der Betreuung nach dem Einkommen richtet, braucht es dann eine Kontrolle, was letztlich ein Mehraufwand für die Verwaltung wäre? Wie können betreuende Angehörige entlastet werden? Und könnte die Spitex nebst der Pflege auch einen Teil der Betreuungsaufgaben übernehmen?
Es zeigte sich, dass sich die Teilnehmenden im Vorfeld mit dem Thema auseinandergesetzt hatten. Mit einer Umfrage wurde während des Stadtgesprächs der gemeinsame Nenner ausgelotet. Ergebnis: Die Gemeinden im Kanton Zug sollen ein gemeinsames Finanzierungsmodell definieren, das einkommensabhängig ist und Betreuung in allen Wohnformen stärkt. Und mit aufsuchender Altersarbeit soll die Erreichbarkeit verbessert werden. Das ist die gemeinsame Basis.
Dennoch besteht zwischen den Gemeindevertreter:innen nicht in allen Punkten Konsens. Vor allem wenn es darum geht, zu definieren, wo die Eigenverantwortung an ihre Grenzen gelangt und wo es Aufgabe des Staates ist, zu helfen. Die Zuger Gemeinden wollen Betreuung denn auch nicht allen mitfinanzieren: «Aber wir müssen Betreuung denen bieten können, die sie benötigen.»
Fazit: Es ist ein steiler Weg, den die Zuger Gemeinden bei der Altersarbeit eingeschlagen haben. Aber hier mag man nicht warten, bis der Bund vorwärts macht. Nach dem Stadtgespräch hat Christine Blättler-Müller, Gemeinderätin aus Cham und Präsidentin der SoVoKo, nun die Gewissheit: «Unter den Sozialvorsteherinnen und Sozialvorsteher der Zuger Einwohnergemeinden herrscht Einigkeit, dass gute Betreuung im Alter wichtig ist und die Finanzierung näher beurteilt werden soll.» Die soziale Einbettung der älteren Menschen dürfe nicht durch das Raster fallen.
Und wie geht es in Zug nun weiter? Als nächstes werden die Resultate zu den einzelnen Themen reflektiert und im November 2022 der SoVoKo vorgestellt – zusammen mit einem Projektauftrag. Es braucht weitere Gespräche zwischen Gemeinden und dem Kanton. Klar ist: In Zug will man Nägel mit Köpfen machen!
Mai 2022
Mit der neuen Altersstrategie setzt sich die Stadt St.Gallen zum Ziel, dass ältere Menschen künftig ein Betreuungsangebot vorfinden sollen, das ihren Bedürfnissen entspricht und das bezahlbar ist. Welche Massnahmen es dafür braucht, darüber diskutierten Fachleute beim Stadtgespräch, das im Mai von der Paul Schiller Stiftung und dem Städteverband organisiert wurde.
Liebevoll kümmerte sich die Frau zusammen mit ihrem Mann um ihren dementen Vater. Als die Familie nach Jahren wieder einmal in die Ferien verreisen wollte, suchte sie nach einer geeigneten Institution, wo der Grossvater für zwei Wochen in guten Händen wäre. Heim für Heim klapperte die Familie ab. Einige von ihnen gaben auf der Website an, dass ein temporärer Aufenthalt möglich sei. Doch auf Anfrage stellte sich heraus, dass es das Angebot nicht mehr oder nur bei einem freien Zimmer gibt. Die Familie fand schliesslich kein Heim, das genau während den Schulferien Platz gehabt hätte.
Das Beispiel erzählte einer der Teilnehmer des St.Galler Stadtgesprächs. Es zeigt exemplarisch: Bei der Betreuung von älteren Menschen gibt es Lücken. Doch wie gross sind diese? Und welche Lösungsmöglichkeiten gibt es? Beim Stadtgespräch suchten 50 Fachpersonen Antworten auf diese Fragen und somit nach dem «St.Galler Weg» bei der Betreuung im Alter.
Heute leisten Freiwillige einen grossen Teil der Betreuungsarbeit. Die meisten von ihnen sind Angehörige. Doch: Immer mehr Menschen werden immer älter, während immer weniger Angehörige Betreuungsarbeit leisten können, etwa weil die geografische Distanz zu gross ist und sie beruflich eingespannt sind. Prof. Dr. Carlo Knöpfel machte in seinem Vortrag deutlich: «Der gesellschaftliche Wandel führt zu einem wachsenden, aber zunehmend ungedeckten Bedarf an Betreuung im Alter.»
Die Freiwilligenarbeit stand denn auch immer wieder im Fokus des Gesprächs. Oft würde dies falsch verstanden: «Die landläufige Meinung ist, diese sei ja gratis. Dabei braucht es Investitionen, damit von der Freiwilligenarbeit alle profitieren: die Freiwilligen und die Betroffenen», so eine Stimme. Die Freiwilligenarbeit sei ein wichtiger Teil, aber sie könne nicht das Fundament sein der Betreuung im Alter.
Einigkeit bestand, dass St.Gallen bei der Betreuung älterer Menschen über ein breites Angebot verfügt. Allerdings wissen nicht alle Betroffene, welche Unterstützung ihnen zur Verfügung steht und wo sie diese erhalten. Diskutiert wurden auch Lösungsvorschläge wie Informationsanlässe in den Quartieren, Case Management oder eine verstärkte Netzwerkarbeit. Auf der Wunschliste zuoberst steht aber auch in St.Gallen eine ganzheitliche Finanzierungslösung durch Bund, Kantone und Gemeinden.
Ein Teilnehmer wies auch darauf hin, dass die Sozialversicherungsanstalt in St.Gallen mehr Leistungen übernehme als in anderen Kantonen. Eine ideale Voraussetzung für den «St.Galler Weg» bei der Betreuung im Alter.
Der Anlass hat bei vielen Teilnehmenden neue Erkenntnisse gebracht und das gemeinsame Verständnis für Betreuung geschärft. Auch die zuständige Stadträtin zieht ein positives Fazit: Das Stadtgespräch habe gezeigt, dass St.Gallen über gute Angebote verfüge, so Dr. Sonja Lüthi im Interview: «Es gilt nun diese noch besser bekannt zu machen und bei Bedarf auszubauen. Ich bin sehr dankbar dafür, dass wir in unserer Stadt auf viele motivierte Akteure zählen dürfen, die wie wir den Wunsch haben, gemeinsam eine gute Betreuung im Alter sicherzustellen.»
März 2022
Eine 87-jährige pflegebedürftige Frau aus Thalwil muss für eine Operation ins Spital. Nach dem medizinischen Eingriff will sie wieder zurück in die eigenen vier Wände, was mit Unterstützung ihrer Angehörigen auch gelingt. Die Spitex leistet ausgezeichnete ambulante Unterstützung, doch der Abrechnungsmodus schreibt genau vor, wieviele Minuten für welche Pflegeleistung aufgewendet werden dürfen – da bleibt kaum noch Zeit für einen unbekümmerten Schwatz, geschweige für eine umfassende Betreuung. Die betagte Frau verfügt täglich über viel Zeit, viel «tote Zeit», mit wenig Ablenkung: morgens drei und nachmittags bis zu vier Stunden. Dadurch zeigen sich immer wieder depressive Gemütslagen, die sich verstärken. Angehörige und Nachbarinnen können diesen mit ihren regelmässigen Besuchen nur teilweise entgegenwirken. Was fehlt, ist eine entlastende gute Betreuung, die sich so adäquat um das psychosoziale Wohlbefinden der 87-Jährigen kümmert, wie es die Spitex für die körperliche Gesundheit tut.
Eine Checkliste für Thalwil
Dieses Beispiel lässt erahnen, dass der Bedarf an Betreuung im Alter auch in Thalwil erheblich sein dürfte. Rund jeder Zehnte der 3500 Personen über 65 Jahren ist früher oder später wohl auf Betreuung angewiesen, schätzt der für Altersfragen zuständige Gemeinderat Peter Klöti in seinen Begrüssungsworten zur Fachveranstaltung in Thalwil. Die Gemeinde versuche mit «Betreuungsgutscheinen» unterstützende Angehörige zu entlasten. Allerdings werden die finanziellen Beteiligungen für Dienstleistungen der Pro Senectute, des Entlastungsdienstes etc. weniger nachgefragt als erwartet: Trotz Bedarf braucht es offenbar viel Überwindung, einen solchen Gutschein in Anspruch zu nehmen.
In seinem Referat erklärte Carlo Knöpfel, Professor für Sozialpolitik und Sozialarbeit an der Fachhochschule Nordwestschweiz, was gute Betreuung im Alter ausmacht, weshalb diese ein wichtiges Thema ist und wie sie für alle finanziert werden kann. Dabei kam er auf den demografischen Wandel zu sprechen und führte das Finanzierungsmodell «Betreuungsgeld für Betreuungszeit» der Paul Schiller Stiftung aus: Dieses sieht Stundenkontingente für Menschen mit Betreuungsbedarf vor, wodurch sich ihre finanzielle Belastung reduziert. Und er zeigte anhand einer Checkliste auf, was Thalwil tun kann: Die Bedürfnisse älterer Menschen und ihrer Angehörigen klären, Eigenleistungen der Betroffenen festlegen, Restfinanzierung sicherstellen, die aufsuchende Arbeit fördern etc. Knöpfel ist überzeugt: «Die Kosten der Betreuung im Alter können von einer Gemeinde getragen werden, zumal Einsparungen im stationären Bereich zu erwarten sind.»
Ein neues Legislaturziel?
Damit war der Boden gelegt für angeregte Diskussionen in den anschliessenden Workshops. Es galt, die Lücken bei der Betreuung in der eigenen Gemeinde auszumachen und mögliche Lösungen aufzuzeigen. Dabei wurde deutlich, wieviel formelle und informelle Betreuungsarbeit in Thalwil heute schon geleistet wird – aber auch, wo noch Handlungsbedarf besteht: Betreuung soll für alle zugänglich sein, es gilt, Vertrauen aufzubauen und auf die Betroffenen sowie auf die Angehörigen zuzugehen.
Peter Klöti zieht denn auch ein positives Fazit: «Die Veranstaltung hat dazu beigetragen, alle Teilnehmenden in Richtung eines umfassenden Verständnisses für den Begriff ‘Gute Betreuung im Alter’ zu sensibilisieren.» Auch er erhielt wichtige Impulse für seine politische Arbeit: «Nach meiner Wiederwahl werde ich versuchen, ein neues Legislaturziel für gute Betreuung im Alter zu definieren.» Damit in Thalwil die Menschen in Würde altern können – und weniger «tote Zeit» haben.
Informationen für Städte und Gemeinden
Hat Betreuung im Alter in Ihrer Gemeinde noch einen geringen Stellenwert und Sie wollen das Thema endlich anpacken? Oder überarbeiten Sie Ihre Altersstrategie und möchten das Thema Betreuung im Gespräch mit verschiedenen Akteuren vertiefen? Die Paul Schiller Stiftung unterstützt Städte und Gemeinden bei der Organisation eines Anlasses zu Betreuung im Alter. Hier finden Sie weitere Informationen zum Angebot.
Bei Interesse können Sie sich gerne an Miriam Wetter, Stabsstelle Gute Betreuung im Alter der Paul Schiller Stiftung, wenden: miriam.wetter@gutaltern.ch oder 062 511 20 30