Politik
«Förderung der Alltagsgestaltung und sozialen Teilhabe: Auch das ist schlussendlich kostendämpfend»
Anfangs Juni wird die Vorlage zur Finanzierung von Betreuungsleistungen über die Ergänzungsleistungen im Ständerat debattiert. Im Gespräch erläutert Ständerat Erich Ettlin, warum er sie wichtig findet, was er über den zentralen Artikel 14a mit dem Leistungsbeschrieb denkt und was mit Blick auf die Umsetzung einer neuen Finanzierung zu beachten ist.
Erich Ettlin ist seit 2015 Ständerat des Kantons Obwalden (Die Mitte), Wirtschaftsexperte und Mitglied des Vorstandes des Verbands Spitex Schweiz. Er nimmt Einsitz in der Kommission für Soziale Sicherheit und Gesundheit, die für die Vorlage zur Betreuungsfinanzierung über die Ergänzungsleistungen zuständig ist. Entsprechend nah hat er die letzten Monate die EL-Vorlage begleitet.
Mit einer Änderung des Bundesgesetzes über die Ergänzungsleistungen zur AHV und IV sollen Leistungen für Hilfe und Betreuung zu Hause neu finanziert werden. Welche Bedeutung messen Sie der Vorlage zu?
Mit der Vorlage sollen die Berücksichtigung der Leistungen für Hilfe und Betreuung zu Hause verbessert und das selbstbestimmte Wohnen von Bezügerinnen und Bezügern von Ergänzungsleistungen zur AHV/IV gefördert und Heimeintritte verzögert werden. Das Ziel der Vorlage ist absolut unbestritten und sinnvoll. Es soll den Menschen ermöglicht werden, im Alter länger zu Hause zu bleiben und damit später –oder überhaupt nicht – in ein Alters- und Pflegeheim einzutreten.
Welche Argumente haben Sie in der Debatte bisher als besonders wichtig erlebt?
Es wurde uns beispielsweise aufgezeigt, dass rund ein Drittel der Heimbewohnerinnen und Heimbewohner weniger als eine Stunde Pflege pro Tag braucht. Da drängt sich eigentlich das Verbleiben in der eigenen Wohnung auf es braucht für diese Fälle nicht die ganze Infrastruktur für eine Rundumversorgung.
Die Vorlage hat somit für das Gesamtsystem eine kostendämpfende Wirkung. Das klingt auf den ersten Blick widersprüchlich, weil wir ja darüber sprechen, dass mehr Leistungen entschädigt werden sollten. Aber wenn Heimeintritte verzögert oder verhindert werden ist das schlussendlich kostensenkend. Dabei muss man die Kosten dynamisch betrachten, denn sie werden aufgrund der Alterung der Gesellschaft zunehmen – und wir sollten den Anstieg dämpfen.
Das Kernstück der Vorlage ist der Art. 14a mit dem Beschrieb der Leistungen, die finanziert werden sollen. Ihre Kommission schlägt hier in Abweichung zum Nationalrat eine zusätzliche Kategorie «Förderung der Alltagsgestaltung und sozialen Teilhabe» vor. Welche Gründe sprechen für diese Präzisierung der Leistungen?
Die Betreuung zu Hause beinhaltet nicht nur die körperliche Pflege, sondern hat auch einen fürsorglichen und sozialen Aspekt. Selbstbestimmtes Wohnen benötigt Unterstützung beim Einkaufen, Aufrechterhaltung des sozialen Lebens etc. Zudem macht Einsamkeit krank und dagegen hilft die Förderung der sozialen Teilhabe. Auch das ist schlussendlich kostendämpfend. Das hat die Kommission so gewürdigt und mit einem Mehrheitsbeschluss ergänzt. Die Diskussionen rund um diesen Artikel waren intensiv und fruchtbar. Er ist wirklich einer der Kernpunkte.
Sie erhalten als Mitglied des Vorstandes des Verbands Spitex Schweiz einen direkten Einblick in die Herausforderungen der Unterstützung zu Hause. Was gilt es aus Ihrer Sicht zu beachten, damit diese Vorlage dann in der Praxis die angestrebte präventive Wirkung im Alltag der älteren Menschen entfalten kann?
Es braucht natürlich vor allem genügend Fachkräfte. Das ist angesichts des Arbeitsmarktes und der demographischen Entwicklung die grosse Herausforderung.
Es braucht zudem eine stabile, verlässliche Betreuung, die für ihre Empfängerinnen und Empfänger finanzierbar ist. Idealweise bleiben für die betreuten Menschen die Ansprechpartnerinnen und Ansprechpartner (z.B. der Spitex) über längere Zeit die Gleichen. Dadurch können ein Vertrauensverhältnis und ein soziales Umfeld aufgebaut und erhalten werden. Aber das gilt natürlich heute schon. Mit der gezielten Verbesserung der Finanzierung kann man den Pflegenden und Betreuenden die entsprechende Zeit für diese Aspekte entgelten. Darum ist für mich zentral: Der soziale Aspekt der Betreuung ist mitzuberücksichtigen. Der Pflegeroboter ersetzt die menschliche Wärme und die Empathie nicht. Es braucht Menschen.
- Dossier: EL-Vorlage für betreutes Wohnen
- Nationalrat sagt Ja zu Betreuungsfinanzierung bei Ergänzungsleistungen
