Interview

«Die Finanzierung von Betreuungsleistungen ist ein Hebel, den wir auf kantonaler Ebene nutzen können.»

Der Kanton Zürich wird in Sachen Betreuung in der Deutschschweiz zum Pionierkanton. Er führt eine ausgebaute Finanzierung von psychosozialen Betreuungsleistungen zu Hause im Rahmen der Ergänzungsleistungen ein. Brigitte Köppel Papageorgiou, Leiterin der Sozialversicherungen des kantonalen Sozialamtes Zürich, gibt gutaltern.ch Auskunft darüber, wie die Vorlage auf den 1. Januar 2025 in den Gemeinden umgesetzt wird und was sich für ältere Menschen und ihre Angehörigen dadurch verändert.

26.06.2024

Warum ist diese Anpassung der Ergänzungsleistungen zur AHV wichtig?

Ältere Menschen benötigen vielfach Unterstützung bei alltäglichen Aufgaben, lange bevor sie pflegebedürftig werden. Wenn Betreuungsleistungen zu Hause finanziert werden, können sie länger selbstständig in ihrer vertrauten Umgebung bleiben. Wer genug Geld hat, kann sich dies auf eigene Kosten Betreuung zu Hause leisten. Die Anpassung sorgt dafür, dass auch ältere Menschen in bescheidenen finanziellen Verhältnissen möglichst lange in ihrem gewohnten Umfeld wohnen können und nicht mehr vorzeitig aus finanziellen Gründen in ein Alters- oder Pflegeheim umziehen müssen. Auch für pflegende und betreuende Angehörige ist es ein wichtiger Schritt. Sie sind oft bis an ihre Belastungsgrenze eingespannt. Dank der finanziellen Unterstützung können Angehörige durch professionelle Betreuungsdienste entlastet werden.

Kurz zusammengefasst: Die Integration von Betreuungsleistungen in die Ergänzungsleistungen im Kanton Zürich ist ein wichtiger Schritt, um die Lebensqualität betreuungsbedürftiger Menschen zu verbessern, ihre Familien zu entlasten, Kosten zu sparen und die soziale Integration und Teilhabe zu fördern.

Welche Leistungen werden Sie finanzieren und was sind Ihre Vorstellungen, wer diese erbringen wird?

Wir finanzieren neu Hilfe- und Betreuungsleistungen, die besonders geeignet sind, um das Leben in der eigenen Wohnung zu erleichtern. Dazu zählt die Unterstützung in der Haushaltsführung, Entlastungsdienste, Mehrkosten für Mittagstische und Mahlzeitendienste. Auch psychosoziale Betreuung und Begleitung kann finanziert werden. Konkret kann das eine Begleitung zu einem externen Termin oder sonstige Kontakte zur Aussenwelt betreffen – oder Betreuung, welche dazu dient, soziale Isolation zu vermeiden. Die erbrachten Leistungen sollen von gemeinnützigen Organisationen, die im Bereich der Altershilfe tätig sind, durch gemeinnützige Entlastungsdienste, Spitex-Organisationen oder von der Gemeinde bezeichnete Organisationen erbracht werden. Auch Privatpersonen sollen diese Leistungen in einem begrenzten Umfang erbringen dürfen.

Was gibt der Kanton bei der Umsetzung dieser Vorlage vor und wo besteht Handlungsspielraum in der Umsetzung?

Alterspolitik ist eine Aufgabe von Bund, Kanton und Gemeinden. Im Kanton Zürich sind die Gemeinden in erheblichem Masse für die Sicherstellung der Altersversorgung zuständig.

Die Gemeinden sind näher an den Bürgerinnen und Bürgern und können daher bei Bedarf schneller und flexibler auf die spezifischen Bedürfnisse und Anliegen der älteren Bevölkerung eingehen. Zudem kennen die Gemeinden die Versorgungslandschaft vor Ort, können als Drehscheibe zwischen älteren Menschen sowie den verschiedenen Dienstleistenden vermitteln und in Zusammenarbeit mit Organisationen neue innovative Angebote lancieren. Dadurch sind sie in der Lage, eine umfassende und kontinuierliche Betreuung zu gewährleisten.

Der Kanton schafft mit der Anpassung der Zusatzleistungsverordnung die Rahmenbedingungen, damit die Leistungen für ältere Menschen in finanziell bescheidenen Verhältnissen finanziert und koordiniert werden können. Dabei sollen die Gemeinden über einen möglichst hohen Handlungsspielraum verfügen, damit die Zielgruppe von der Wirkung der Anpassung möglichst optimal profitieren kann. Der Kanton unterstützt die Gemeinden bei den Vorbereitungsarbeiten und gewährt ihnen eine zweijährige Übergangsfrist bei der Etablierung von geeigneten Bedarfsklärungsprozessen.

Was wird sich in 10 Jahren aufgrund dieser Verordnungsanpassung verändert haben? Was heisst dies konkret für ältere Menschen im Kanton Zürich?

Wir sind zuversichtlich, dass sich die Lebensqualität von älteren Menschen in bescheidenen finanziellen Verhältnissen verbessern wird. Durch die Stärkung der Betreuung im Alter können sie, wenn sie das wollen, länger in ihrer eigenen Wohnung bleiben und länger ein unabhängigeres Leben führen. Wir rechnen damit, dass ältere Menschen, die durch die finanzielle Unterstützung Zugang zu Betreuungsdiensten haben, aktiver am gesellschaftlichen Leben teilnehmen können und weniger isoliert sind. Zudem gehen wir davon aus, dass die Belastung für pflegende und betreuende Angehörige emotional und finanziell abnehmen wird, indem sie professionelle Betreuungsdienste in Anspruch nehmen können. Wir hoffen, dass durch die Unterstützung der Betreuung in den eigenen vier Wänden teurere Heimplatzierungen und Krankenhausaufenthalte reduziert werden, was langfristig zu Einsparungen im Gesundheitssystem führen wird. Die Bedeutung der Care-Arbeit hat sich etabliert und insgesamt stellt sich eine Win-win-Situation ein.

Ist in Zukunft etwas geplant, um auch denjenigen Teil besser zu unterstützen, welcher keinen EL-Anspruch hat?

Im Altersbereich haben wie gesagt die Gemeinden einen grossen Spielraum und viele Gemeinden im Kanton Zürich sind aktiv daran, die Altersversorgung vor Ort zu gewährleisten. Zudem gibt es auch immer mehr überkommunale und zivilgesellschaftlich getragene Projekte, um älteren Menschen eine bessere Versorgung zu gewährleisten. Wir fokussieren vor allem auf die Gestaltung der Rahmenbedingungen. Die Finanzierung von Leistungen ist dabei ein Hebel, den wir nutzen können. Es wird leicht vergessen, dass auch ältere Menschen, die knapp keinen Anspruch auf eine jährliche Ergänzungsleistung haben, dennoch einen Teil der Krankheits- und Betreuungskosten rückvergütet erhalten können. Auf kantonaler Ebene konzentrieren wir uns vorerst auf die Umsetzung der Vorlage.

Zur Person

Brigitte Köppel Papageorgiou ist Abteilungsleiterin der Sozialversicherungen des Sozialamtes des Kantons Zürich und Mitverantwortliche für die Verordnungsanpassung.