Corona-Pandemie

Betreuung in Zeiten von Corona – Gedanken aus Sicht der Aktivierung

Aus Sicht der Aktivierung greifen wir Fachliteratur auf und bieten Anregungen für die Praxis. Um einen Beitrag zur Unterstützung der Lebensqualität und für das Wohlbefinden der älteren Menschen in dieser herausfordernden Situation zu leisten.

06.04.2020

Wegen der Coronakrise haben die Alters- und Pflegeheime ihre Türen für An- und Zugehörige in der Regel geschlossen. Zudem sollen die Bewohnerinnen und Bewohner gemäss den Empfehlungen des Bundesamts für Gesundheit (BAG) bei Mahlzeiten oder Gruppenaktivitäten soweit möglich Distanz halten. Was bedeutet das für die älteren Menschen? Wie kann der Alltag trotzdem so gestaltet werden, dass soziale Kontakte und Bewegung möglich ist? Was ist nun besonders wichtig, welche kreativen Ansätze könnten zum Einsatz kommen?

Die wichtigen Massnahmen des BAG führen dazu, dass ältere Menschen in ihren sozialen Kontakten sowie in der Alltagsgestaltung stark eingeschränkt sind. Dabei zeigt sich, dass soziale Isolation einen grossen Einfluss auf die physiologische Widerstandsfähigkeit hat und sozial isolierte Menschen zusätzlich ein stärkeres Gefühl der Bedrohung und Hilflosigkeit entwickeln (vgl. Kruse. A., 2017. S. 222–223).

Es ist deshalb von grösster Bedeutung, ältere Menschen in Zeiten der Coronakrise und der damit verbundenen Isolation zu unterstützen. Sie sollen trotz den Einschränkungen soziale Kontakte pflegen und die alltagsstrukturierenden Verluste kompensieren können. Dabei ist überwältigend zu sehen, wie viel Kreativität und Engagement Angehörige, verschiedene Berufsgruppen und Freiwillige leisten, um diese Unterstützung sicher zu stellen.

Herausforderungen in Alters- und Pflegeheimen

Gespräche mit verschiedenen Aktivierungs- und Pflegefachpersonen sowie den Bildungsanbietern im Bereich Aktivierung ergeben bisweilen folgendes Bild: Während die Bewohnerinnen und Bewohner in Alters- und Pflegeheimen die Lage im Zusammenhang mit dem Coronavirus anfänglich noch einigermassen entspannt betrachtet haben, zeigen sich zunehmend Anspannung, Verunsicherung, Frustration und teils auch Wut. Einerseits sind die Bewohnerinnen und Bewohner in ihrem Alltag zunehmend eingeschränkt und dürfen keine Besuche mehr empfangen.

Andererseits stellen sich für sie – als Mitglieder einer besonders vulnerablen Gruppe – auch Fragen wie: Möchte ich im Falle einer Infektion mit dem Coronavirus hospitalisiert werden? Eine einfühlsame und stufenweise Aufklärung zur Ernsthaftigkeit des Coronavirus und der schlechten Prognose einer intensivmedizinischen Behandlung älterer Menschen, aber auch über die Möglichkeiten der Palliative Care, ermöglichen älteren Menschen eine eigenständige Willensbildung und Entscheidung – denn die meisten Menschen wünschen sich im gewohnten Umfeld zu sterben. (vgl. Fachgesellschaft Palliative Geriatrie). Das Erleben von eingeschränkten sozialen Kontakten und die Auseinandersetzung mit existenziellen Fragen kann eine herausfordernde Kombination darstellen.

Gemäss dem Gerontologen Andreas Kruse ist es von grösster Bedeutung, dass ältere Menschen in der Coronakrise Zuwendung erfahren und ihnen genau erklärt wird, weshalb sie keinen Besuch bekommen können und allenfalls das Alters- und Pflegeheim nicht verlassen dürfen. Sie müssen erfahren, dass sie nicht vergessen werden, sondern man intensiv an sie denkt. Emotional tragfähige und anregende Kontakte helfen, mit gesundheitlichen Verlusten, Verlusten nahestehender Personen und schliesslich mit der Endlichkeit besser umzugehen. Gerade jetzt sei es von grosser Wichtigkeit, dass vertraute Personen nach tragfähiger Kompensation für soziale Kontakte suchen, um die nicht zu unterschätzende psychische Widerstandsfähigkeit älterer Menschen zu unterstützen. (vgl. Kruse. A. 2020)

Mit dem erhöhten Bedarf an Betreuung, sowie auf Grund der Ansteckungsgefahr haben viele Aktivierungsfachfrauen und -männer ihren Berufsalltag bereits flexibel umgestellt und arbeiten nun ausschliesslich auf den Abteilungen. Aus ihren Rückmeldungen spiegelt sich der erweiterte Bedarf an psychosozialer Begleitung sowie der Bedarf an Ideen und Hinweisen für eine gelingende Alltagsgestaltung in Zeiten des Coronavirus wieder.

Mit ihren fundierten Kommunikationsfähigkeiten und dem Fachwissen für eine individuell bedürfnisorientierte Alltagsgestaltung können Aktivierungsfachfrauen und -männer einen wichtigen ergänzenden Beitrag neben dem Bereich der Pflege leisten, um dem Bedarf und den Herausforderungen im Zusammenhang mit dem Coronavirus zu begegnen. Auf Basis ihrer Beziehung zu den Bewohnerinnen und Bewohner und ihrer Ausbildung, um ältere Menschen auch in der Sterbephase individuell zu begleiten, können sie auch hier als zusätzliche Ressource gezielt miteinbezogen werden. Dies ist insbesondere in Alters- und Pflegeheimen von Bedeutung, wo auch in der Sterbephase kaum Besuche möglich sind, wie sich im Tessin eindrücklich zeigt.

Soziale Kontakte ermöglichen und erhalten

Soziale Kontakte stehen neben dem Vermitteln von Sicherheit in der Tagesstruktur und der körperlichen Bewegung momentan im Vordergrund. Aus diesem Grund haben viele Institutionen verschiedene Möglichkeiten der Videotelefonie für den Austausch mit Angehörigen und Freunden realisiert, um so den Kontakt nach aussen zu gewährleisten. Bewohnerinnen und Bewohner zu unterstützen, einen Brief, eine Karte oder ein Foto an die Angehörigen senden können, kann ebenfalls helfen, soziale Kontakte aufrecht zu erhalten.

Es zeigt sich, dass dieser Austausch für beide Seiten von grösster Bedeutung ist. Angehörige sorgen sich um die nahestehenden Personen und haben Angst, dass diese alleine gelassen werden. Es ist ihnen ein grosses Anliegen, über den Alltag und das Befinden der nahestehenden Person informiert zu werden. Die Mitarbeiter der Pflege, der Aktivierung und Betreuung sowie die Leitung der Alters- und Pflegeheime können einen Beitrag leisten, diesen Austausch sicherzustellen.

Vorgaben des BAG schränken auch die Kontakte innerhalb der Institution ein. Es ist eine wichtige Aufgabe von Aktivierungsfachfrauen und -männern, den Kontakt unter den Bewohnerinnen und Bewohner zu unterstützen. Sie ermöglichen Treffen mit dem notwendigen Abstand, Telefongespräche oder übermitteln Nachrichten, um die Freundschaften unter Bewohnerinnen und Bewohnern zu erhalten.

Es ist aktuell von grösster Wichtigkeit, Austauschmöglichkeiten zu schaffen, damit Menschen in Alters- und Pflegeheimen über ihre Gefühle sprechen können. Dabei ist auch die Beobachtung der Körpersprache von grosser Bedeutung. Sich für einen Moment zu jemandem hinzusetzen, der bedrückt oder angespannt wirkt, kann viel bewirken. Türöffner können Fragen sein wie: «Darf ich mich einen Moment zu Ihnen setzen?», «Wie geht es Ihnen?», «Sie sehen nachdenklich aus, stimmt das?» Fragen wie: «Was hat ihnen in anderen herausfordernden Situationen geholfen?» können den Fokus auf die Fähigkeit lenken, Situationen zu bewältigen und allenfalls neue Möglichkeiten aufzeigen oder kreative Prozesse anregen, mit der aktuellen Situation umzugehen. Dies stärkt das Kohärenzgefühl und wirkt Gefühlen von Bedrohung und Hilflosigkeit entgegen.

Verbindende Angebote sind ebenfalls von Bedeutung, um dem Gefühl der Isolation zu begegnen. Gemeinsames Singen und Musikhören stärkt das Gefühl der Gemeinschaft und beeinflusst die Stimmung positiv. Wochenrätselfragen z.B. mit Bildausschnitten oder Schätzfragen, das Schreiben von gemeinsam Geschichten, die sonntags vorgelesen, in der Hauszeitung oder auf der Homepage veröffentlicht werden, können ebenfalls verbindende Aktivitäten sein.

Bedürfnis nach Bewegung und Natur

Bei den Bewohnerinnen und Bewohnern zeigt sich auch ein grosses Bedürfnis nach Bewegung und Spaziergängen in der Natur. Regelmässige Bewegungsangebote bei denen zum Beispiel auch ein Ballonspiel eingebaut wird, wo man etwas Frust loswerden kann und lachen kann, zeigen sich als hilfreich in der momentanen Situation. Angebote für Spaziergänge, das Geniessen der Frühlingssonne auf dem Balkon oder am offenen Fenster werden ebenfalls sehr geschätzt. Sie unterstützen das Gefühl, mit der «Welt da draussen» doch noch verbunden zu sein.

Fehlt die Möglichkeit nach draussen zu gehen, kann der Frühling ins Haus gebracht werden. Blumen, Bärlauch, Maierisli-Duft, Gedichte und anderes regen die Erinnerungen an und fördern den Austausch.Individuell auf die Bedürfnisse abgestimmte Mittel wie Rätsel, Kurzgeschichten, Gedächtnistrainingsmaterial, Bewegungsanleitungen, Spiele, Material zum Gestalten, Hörbücher können den Menschen in Alters- und Pflegeheimen ebenfalls helfen, alltagsstrukturierende Verluste zu kompensieren. Wichtig ist, diese Materialien so zur Verfügung zu stellen, dass es den aktuellen Hygienemassnahmen entspricht und verschiedene Berufsgruppen dieses gezielt nutzen können und so die Bewohnerinnen und Bewohner gemeinsam in ihren psychosozialen Bedürfnissen unterstützt werden können.

In Kürze werden auf der Webseite des «Berufsverbandes der Aktivierungsfachfrauen und -männer» weitere Hinweise für die Alltagsgestaltung, die den speziellen Anforderungen mit dem Coronavirus gerecht werden, veröffentlicht. Die zentrale Herausforderung besteht aktuell darin, Raum für Gespräche über Sorgen und Ängste zu schaffen, in denen sich ältere Menschen wahrgenommen und verstanden fühlen und gleichzeitig die Kommunikation so zu leiten, dass diese Sorgen und Ängste nicht überhandnehmen.

Im Umgang mit der aktuellen Situation soll auch ein Stück Alltag und Kreativität möglich bleiben. Viele Aktivitäten und soziale Kontakte lassen sich mit gezielten Anpassungen und Unterstützung auch unter Einhaltung der Empfehlungen des BAG weiterhin aufrechterhalten und tragen dazu bei, trotz der Ausnahmesituation so etwas wie «Alltag» entstehen zu lassen. Dies ist für eine positive Bewältigung der Coronakrise für Menschen im Alters- und Pflegeheim von grosser Bedeutung.

© Paul Schiller Stiftung, April 2020

Autorinnen

Manuela Röker, Vorstandsmitglied Schweizer Berufsverband der Aktivierungsfachfrauen und -männer, manuela.roeker@svat.ch

Franziska Wirz, Leiterin Bildungsgang Aktivierung, Zentrum für medizinische Bildung (medi), franziska.wirz@medi.ch