«Wir wollen den Menschen Lebensfreude und Selbstachtung schenken.»

Am äussersten Rand des Kantons Bern verändert sich im Kleinen, wie Menschen umsorgt werden. In der Spitex Oberes Langetental arbeitet eine Sozialpädagogin – und auch sonst setzt die Leiterin Franziska Ryser viel daran, das Thema Betreuung im Pflegealltag stärker zu verankern.

In blauer Farbe und gut leserlich zieren Geburtstage und Namen das prominent platzierte Whiteboard im Aufenthaltsraum. Die Tafel erinnert an die Geburtstage der Betreuerinnen und Pfleger. Wie wichtig die Bezugspersonen für die Menschen im Spitexbetrieb sind, erklärt Franziska Ryser: «Für einige unserer Kundinnen und Kunden sind wir die einzigen Menschen in ihrem Leben. Familie und Freunde – zerrüttet oder nicht existent. In solchen Situationen kann es sinnvoll sein, Menschen gezielt zu gemeinsamen Aktivitäten zu animieren und sie zu ermutigen, die eigenen vier Wände zu verlassen. Damit schenken wir den Menschen Lebensfreude und Selbstachtung.»

Deshalb bietet die Spitex nebst Hausbesuch auch Aktivitäten im Zentrum in Huttwil an. Ein Fahrdienst holt die Menschen zu Hause ab und bringt sie zum Spitexgebäude. Im hellen Aufenthaltsraum trainieren die Pflegenden zusammen mit den Betreuten die Geschicklichkeit oder backen Kuchen. Einige Meter weiter befinden sich fünf möblierte Zimmer. «Wir sind kein Heim, aber wir bieten je nach Auslastung relativ spontan Platz für ein paar Tage und Nächte an», erklärt Ryser.

«Somatische Pflege ist wichtig, ebenso wichtig ist aber, dass sich die Menschen nicht langweilen, Kontakte pflegen und dem Leben einen Sinn abgewinnen können – dass sie sich betreut und umsorgt fühlen.»
Karin Aebi, Sozialpädagogin Spitex Huttwil

Bei akutem Pflege- und Betreuungsbedarf, beispielsweise nach einem Spitalaufenthalt, entschärfe eine kurzzeitige Fremdplatzierung die Situation der Betroffenen und ihres Umfelds. «Oft bietet dies den nötigen Raum, um die Betreuungssituation zu Hause zu verbessern, sowie die Gelegenheit, eigene Wünsche zu formulieren und sich dank den Anpassungen noch einmal an den Alltag zu Hause zu getrauen», so Ryser. Damit schliesst die Spitex Oberes Langetental die Lücke zwischen Heim und klassischem Spitexdienst.

Orientierung geben

Der bodenständigen Emmentalerin liegen die Menschen am Herzen. Sie bietet ihren Kundinnen und Kunden – sie besteht auf diese Bezeichnung – alltagstaugliche Dienstleistungen und individuelle Lösungen an und entlastet damit gleichzeitig ihre Mitarbeitenden. Denn diese profitierten genauso, wenn sich die Betreuung und Pflege nicht an Modellen, sondern am Leben der Kundinnen und Kunden ausrichte. Der Blick für das Konkrete, für die Lebensrealität aller Beteiligten, zeichne gute Betreuung aus. Er lässt Raum und Zeit, sich auf den jeweiligen Menschen einzulassen.

Diese Haltung drückt sich im eigens entwickelten Modell Care-Partner aus. Es ist so einfach wie bestechend. «Der Care-Partner, eine Pflegerin oder ein Pfleger, ist die zentrale Bezugsperson für alle in der Pflege und Betreuung involvierten Personen – von der Ärztin über den Sohn bis hin zu den Freiwilligen», so Ryser. Entscheidend sei, dass der Care-Partner eine längere und nahe Beziehung zur betreuten Person aufgebaut habe. «Wenn eine Person den gesamten Tagesablauf überblickt, rücken Leerstellen schneller ins Bewusstsein. So schenken wir der Betreuung automatisch mehr Aufmerksamkeit.»

Kontakte pflegen

Ihre Mitarbeiterin Karin Aebi, eine ausgebildete Sozialpädagogin, ergänzt: «Somatische Pflege ist wichtig, ebenso wichtig ist aber, dass sich die Menschen nicht langweilen, Kontakte pflegen und dem Leben einen Sinn abgewinnen können – dass sie sich betreut und umsorgt fühlen.» Dass mit Karin Aebi eine Sozialpädagogin in der Spitex arbeitet, ist eine Seltenheit. Es verdeutlicht aber die Haltung der Spitex in Huttwil, die Betreuung als notwendigen Bestandteil der Pflege zu erachten.

«Meine Arbeit besteht aus Beziehungsarbeit: Oft arbeite ich zusammen mit den Betreuten auf ein konkretes Ziel hin, zum Beispiel, selbständig eine Kartoffel zu schälen oder Ordnung im Zimmer zu halten.» Betreuung, die den Menschen mit seiner Würde ins Zentrum setzt und die Sorgfalt im täglichen Leben ermöglicht. Ryser interessieren kurzfristige Optimierungen nicht; sie ist Unternehmerin und Mensch, deshalb probiert sie Neues aus, wägt ab und erspürt, was Mitarbeitende, Kundinnen und Kunden umtreibt.

Dies benötigt Zeit – Zeit, die sie ihren Mitarbeitenden bei der Betreuung zugestehen will: Halten diese mal einen Schwatz mit den Betreuten oder helfen kurz mit dem Smartphone – Tätigkeiten, die sich in keinem Spitex-Tarifsystem der Schweiz abrechnen liessen – dürfen sie diese Minuten als sogenannte Eden-Zeit erfassen. Die «Eden Alternative » versteht Pflege ganzheitlich und strebt an, die Betreuung innerhalb der pflegerischen Tätigkeit zu stärken. Konkret bedeutet dies unter anderem mehr Gespräche, Spontanität und Abwechslung, mehr Raum für Selbstbestimmung und sinnstiftende Tätigkeiten.