Praxis
Verschiedene Angebote gebündelt unter einem Dach
Am Sozialmedizinischen Zentrum im Oberwallis (SMZO) arbeiten verschiedene Organisationen und verschiedene Berufsgruppen zusammen, damit ältere Menschen möglichst lange selbstbestimmt und selbständig leben können – der Betreuung kommt dabei ein grosser Stellenwert zu. Wie das konkret aussieht am SMZO erläutert Geschäftsleiter Willy Loretan im Interview.
Welches sind die Rahmenbedingungen und Bedürfnisse der älteren Menschen im Oberwallis?
Grundsätzlich sieht es bei uns aus wie in anderen Regionen auch: Wichtig sind eine ausreichende Lebensqualität, die Autonomie, die es erlaubt, so lange wie möglich zu Hause zu bleiben sowie ein geeignetes Umfeld für die Entwicklung und Nutzung eigener Möglichkeiten. So definiert dies etwa der Kanton Wallis zu Gunsten der Generationen ab 60 Jahren. Für das Oberwallis – als Randregion im eigenen Kanton – stellen sich zusätzliche Herausforderungen. Die gewohnten, im positiven Sinne «engen» Strukturen brechen immer mehr auf. Die Bergregion wird immer stärker urbanisiert und der Wirtschaftsaufschwung in der Region führt zu einer enormen gesellschaftlichen Dynamik. Diese Entwicklungen sind für ältere Menschen herausfordernd und können dazu führen, dass sich diese Menschen vermehrt entfremdet fühlen am eigenen Wohnort.
Was bedeutet für Sie eine gute Betreuung der älteren Menschen?
Darunter verstehe ich eine koordinierte Betreuung, an der verschiedene Institutionen, Akteure und Personen beteiligt sind. Dies bedingt, dass eine enge Vernetzung stattfindet und die Angebote auf die Bedürfnisse der Bevölkerung ausgerichtet werden. Dabei ist wichtig, dass eine überregionale, sprich kantonale Steuerung stattfindet. Gleichzeitig müssen aber regionale Aspekte respektiert und aufgenommen werden. Nicht jedes Betreuungsangebot funktioniert überall gleich gut. Hier widerspiegelt sich die Vielfältigkeit unserer Gesellschaft – und diese wird in den nächsten Jahren und Jahrzehnten noch zunehmen.
Wie sieht die koordinierte Betreuung der Menschen aus, die vom SMZO begleitet werden?
Wir stellen den Grundversorgungsauftrag gemäss dem Auftrag der öffentlichen Hand sicher. Dazu gehört es, neben der reinen Pflegetätigkeit auch für die Betreuung und Sicherheit zu Hause zu sorgen. Der Kanton Wallis unterstützt diese Angebote durch eine Restfinanzierung, gemeinsam mit den Gemeinden. Dies führt dazu, dass Angehörige von Kundinnen und Kunden punktuell entlastet werden: Zu einem sehr günstigen Tarif von 15 Franken pro Stunde übernimmt eine Mitarbeiterin oder ein Mitarbeiter des SMZO die Betreuung der betagten Person. Wir klären im Vorfeld jeweils ab, wie sich der Bedarf äussert und ob für bestimmte Fälle auch andere Institutionen, wie etwa das Rote Kreuz, geeignet sind. Künftig möchten wir zudem den Einsatz unserer Sozialarbeitenden bei den Spitex-Dienstleistungen stärken. Dies aus der Feststellung heraus, dass immer häufiger nicht nur Pflege und Hauswirtschaft gebraucht werden, sondern sich vermehrt auch sozialarbeiterische Fragen stellen. Ergänzende Angebote wie etwa eine Ansprechperson für betreuende Angehörige komplettieren unsere Dienstleistungen.
Die Zusammenarbeit verschiedener Organisationen und verschiedener Berufsgruppen ist eine komplexe Angelegenheit. Wie gehen Sie das am SMZO an?
Wir verfolgen vom Erstkontakt an den folgenden Ansatz: In herausfordernden Lebensabschnitten unterstützen wir unsere Kundinnen und Kunden – mit dem Ziel, deren Autonomie zu stärken oder zumindest zu halten. Bei der Ausübung ihrer Tätigkeiten können die Mitarbeitenden der verschiedenen Bereiche am SMZO immer wieder voneinander profitieren. So führen wir beispielsweise mehrmals pro Jahr Führungsanlässe mit den Kaderangestellten durch und stellen fest, dass sich die Herausforderungen im Arbeitsalltag, ob nun in der Spitex, in der gesetzlichen Sozialhilfe, der Schulsozialarbeit oder anderen Dienstleistungen trotz aller Unterschiede bemerkenswert ähneln – wir unterstützen am SMZO nämlich nicht nur Seniorinnen und Senioren, sondern auch weitere Personengruppen. Diese Interdisziplinarität stellt ein besonderes Merkmal aller Walliser Sozialmedizinischen Zentren dar.
Was braucht es von Seiten der verschiedenen Akteure, damit die Zusammenarbeit gut funktioniert?
Es ist meiner Meinung nach zentral, nicht sich selber und auch nicht die eigene Organisation in den Vordergrund zu stellen, sondern die Person, die Unterstützung braucht. Bisweilen kommt es vor, dass sich Organisationen auf ihren Auftrag und auf ihre Daseinsberechtigung berufen. Dabei kann das Wesentliche, nämlich der Mensch als Kunde, etwas in Vergessenheit geraten. Eigentlich müsste das Ziel sein, dass es uns gar nicht braucht – dass nämlich das Individuum so gesund und gestärkt ist, dass ein Leben ohne Unterstützung möglich ist. Das ist natürlich eine Utopie – für mich stellt das aber letztlich auch eine Vision dar.
Was sind im Zusammenhang mit der Betreuung die grössten Herausforderungen am SMZO?
Ich denke, dass es das Eingeständnis ist, Hilfe zuzulassen. Unlängst hat mir eine Politikerin gesagt, es sei traurig, dass ältere Menschen derart allein gelassen sind oder sich so allein fühlen, dass sie für eine Betreuung und Unterhaltung bezahlen. Ich entgegnete ihr, dass ich nichts Falsches daran erkenne, wenn wir dadurch eine Verbesserung im Alltag bewirken können. Für uns als Organisation sehe ich daher die Herausforderung darin, Betreuungs- und Entlastungsangebote etwas zu «ent-stigmatisieren» und hervorzuheben, dass damit das Wohlbefinden vieler verbessert werden kann.
Wo sehen Sie die Schwierigkeiten und wo die Chancen der Struktur, wie Sie am SMZO besteht?
Fangen wir mit dem Positiven, den Chancen, an. Wir können erreichen, dass wir ohne grossen Aufwand Dienstleistungen erbringen und anpassen können. Die öffentliche Hand im Kanton, namentlich der Kanton und unsere 62 Gemeinden im Oberwallis, vertrauen uns. So können wir proaktiv unser Angebot gestalten – wie wir dies in unserer Strategie 2025-2028 vorsehen. Zu den Schwierigkeiten kann ich wohl nicht viel Neues ergänzen als sowieso bekannt ist: Die Finanzierung der öffentlichen Dienstleistungen und der Fachkräftemangel sind zwei der offensichtlichen Herausforderungen. Mit einer breiten Struktur und vielen verschiedenen Angeboten wie bei uns am SMZ Oberwallis sind wir wohl in einer besonderen Abhängigkeitssituation. Den demografischen Wandel als solches, also die Alterung in der Gesellschaft, möchte ich aber keinesfalls als negativ betrachten. Dass wir älter werden, ist eine positive Entwicklung – ich hoffe doch, dass diese Grundeinstellung in unserer Gesellschaft vorherrscht und dass das auch so bleibt.
Willy Loretan ist Geschäftsleiter des Sozialmedizinischen Zentrums Oberwallis, das Angebote für Menschen im Alter und für weitere Personengruppen bündelt.
Quelle: Artikel aus dem Themenheft «Koordinierte Betreuung» in redaktioneller Zusammenarbeit der Paul Schiller Stiftung mit Artiset/Curaviva, Pro Senectute Schweiz, Alzheimer Schweiz, Gerontologie CH, Entlastungsdienst Schweiz, Schweizerisches Rotes Kreuz, senesuisse und der Spitex Schweiz (Dezember 2024).