Praxis
Ein Netzwerk unterstützt fragile ältere Personen
Cogeria, das Genfer Netzwerk zur Koordination der Pflege, ist ein fachübergreifendes Projekt. Es soll dazu beitragen, dass Menschen im Alter zu Hause bleiben können. Um Situationen der Fragilität zu antizipieren und vermeiden, bietet das Team von Cogeria eine umfassende – medizinische und soziale – Konsultation zu Hause an. Anschliessend wird in enger Zusammenarbeit mit den Hausärzt:innen und weiteren Grundversorgungsdiensten ein individueller Pflegeplan erstellt.
Wie jeden Dienstagnachmittag hat sich das fachübergreifende Team des Genfer Netzwerks zur Koordination der Pflege, Cogeria, in seinen Räumlichkeiten in der 7. Etage eines Gebäudes im Stadtzentrum von Genf zu seiner Sitzung getroffen. Hier lassen die Pflegefachpersonen, Sozialarbeiterinnen, Ärzt:innen und Sekretär:innen, aus denen das Team besteht, die geriatrischen Konsultationen der vergangenen Woche in den Wohnungen von Betagten Revue passieren. Und sie besprechen, wie es weitergeht.
Das 2019 lancierte Netzwerk Cogeria wird vom Gesundheitsamt des Kantons Genf finanziert. Die partnerschaftliche Leitung haben sechs Einrichtungen und Institutionen inne, darunter die Universitätsspitäler Genf (HUG), die Genfer Spitex-Organisation IMAD und Pro Senectute Genf. Das Netzwerk hat es sich zur Aufgabe gemacht, eine gezielte, koordinierte Antwort auf die Pflege- und Betreuungsbedürfnisse vulnerabler Menschen im Alter zu geben. Dazu arbeitet es mit den Hausärzt:innen und weiteren Grundversorgungsdiensten zusammen. Ziel des Dispositivs ist es, dass Senior:innen im Sinne der seit Jahren verfolgten kantonalen Politik zu Hause bleiben können. Das Programm startete mit einem Pilotprojekt in einigen wenigen Quartieren und Gemeinden. Dann wurde es nach und nach auf den gesamten Kanton ausgedehnt.
Interprofessionalität und Expertise
«Der Gedanke war, dass Fachteams aus Institutionen, die im Gesundheits- und Sozialbereich bereits eine eigene Funktion innehaben, unter einem Dach zusammenarbeiten. So wollten wir die berufsübergreifende Zusammenarbeit fördern und Expertise im Bereich der Geriatrie aufbauen», erinnert sich Clément Graindorge, Projektleiter und Arzt, der sowohl für die Unité de Gériatrie Communautaire – die ambulante geriatrische Versorgung der HUG – als auch für das Dispositiv Cogeria tätig ist. Die an Cogeria beteiligten Institutionen bringen Werkzeuge, Kompetenzen und Mitarbeitende ein. So kommen die Sekretär:innen und Ärzt:innen von den HUG, die Pflegefachpersonen von der IMAD und die Sozialarbeiterinnen von Pro Senectute. «An oberster Stelle bei unseren Interventionen stehen Prävention und Antizipation», bekräftigt der Projektleiter noch einmal. Tatsächlich geht es darum, Notfalleinsätze und Hospitalisationen zu vermeiden und fragile Situationen wie Stürze, soziale Isolation oder auch Gedächtnisverlust zu antizipieren, denn sie könnten ein Verbleiben im gewohnten Umfeld in Frage stellen.
Daher bietet das Team von Cogeria eine umfassende geriatrische Konsultation zu Hause an. Sie richtet sich an fragile oder vulnerable Menschen über 65 Jahren, die daheim leben. Die Anmeldung für eine geriatrische Konsultation kann durch die betreffende Person oder – mit ihrer Einwilligung – ihre Angehörigen, die behandelnden Ärzt:innen, den Spitex-Dienst oder andere Fachkräfte aus dem Gesundheits- und Sozialnetz erfolgen. Für die Anmeldung gibt es auf der Website von Cogeria ein Online-Formular. So erklärt es Lorena Cosi, Sekretärin des Netzwerks. Sie jongliert mit der Planung, um je nach Verfügbarkeiten und Region zwei bis drei Konsultationen pro Tag unterzubringen.
Konsultation im Tandem
Die geriatrische Konsultation dauert zwei Stunden und erfolgt durch ein Zweierteam von einer Pflegekraft und einer Arztperson. Meist sind auch Angehörige oder eine Pflegekraft der betroffenen Person dabei, um bei kognitiven Beeinträchtigungen den Austausch zu erleichtern. «Die ganzheitliche geriatrische Evaluation setzt besondere Kenntnisse voraus. Zudem erfordert sie Zeit. Wir können sie aufbringen, aber für Hausärzt:innen ist das schwieriger», argumentiert Thomas Schmid, medizinischer Leiter bei Cogeria. Auch er ist Arzt in der Unité de Gériatrie Communautaire der HUG. Vor der Konsultation hat die Pflegefachperson von Cogeria bereits Daten zur Person bei ihren Kolleg:innen der Spitex-Dienste erhoben und die Anamnese in der Pflegedokumentation der HUG nachvollzogen. Die Arztperson von Cogeria hat sich bereits mit den behandelnden Ärzt:innen abgesprochen. Dann bereitet das Team gemeinsam die Konsultation vor.
Die erste Stunde übernimmt die Pflegefachperson. «Wir führen eine vollständige Anamnese und ein umfassendes geriatrisches Assessment der Person durch. Wir beurteilen ihre Autonomie und prüfen das, was sie noch machen kann, und was nicht», fasst Aurélie Vidon zusammen. Sie ist Pflegefachfrau bei der IMAD und arbeitet für Cogeria. Sie und ihre Kolleg:innen verwenden unterschiedliche Skalen, um die mit dem Alter verbundenen Fragilitätssyndrome zu evaluieren und eine mögliche Depression zu erkennen. Sie führen auch Gedächtnis-, Mobilitäts- und Gleichgewichtstests durch. In der zweiten Stunde ist die Arztperson von Cogeria anwesend. Nun stehen die Messung der Vitalparameter und eine gründliche klinische Untersuchung auf dem Plan. Das Tandem erkundigt sich auch nach den sozialen Aktivitäten und der Lebensqualität der Person. «Es ist sehr lehrreich, die Betreffenden zu Hause aufzusuchen. Wir erfahren sehr viel über sie.» Dies ist auch eine Gelegenheit, eine Patientenverfügung oder vorsorgliche Anmeldung für ein Alters- und Pflegeheim anzusprechen. «Sind die Angehörigen anwesend, nehmen wir uns auch für sie einen Augenblick Zeit. Wir schauen, wie erschöpft sie sind, hören uns ihre Bedürfnisse an und überlegen, wie wir sie unterstützen können», fügt Aurélie Vidon noch hinzu.
Empfehlungen und Präventivmassnahmen
Am Ende der Konsultation werden gemeinsam mit der Person Präventivmassnahmen festgehalten, die vorrangig umgesetzt werden sollen. Das können Physiotherapiesitzungen zu Hause sein, ein Besuch der Ergotherapie, um die Wohnung anzupassen, ein Mahlzeitendienst, fachärztliche Konsultationen usw. Es können auch Unterstützungsmöglichkeiten für die Angehörigen vorgeschlagen werden. «Wir formulieren nur Empfehlungen», betont Aurélie Vidon. «Wir ändern keine verordneten Medikamente. Wir haben nur eine Beratungsfunktion. Die Umsetzung der von uns vorgeschlagenen Therapien oder Massnahmen obliegt den behandelnden Ärzt:innen oder den Grundversorgungsdiensten», ergänzt Thomas Schmid.
Das geriatrische Assessment wird in den individuellen Pflegeplan aufgenommen. Es kann auch Empfehlungen zu einer sozialen Begleitung enthalten. In diesem Fall erfolgt eine Anfrage bei den Sozialarbeiterinnen von Pro Senectute. «Die Anfrage kann eine Voranmeldung im Alters- und Pflegeheim betreffen, Hilfe bei der Durchsetzung eines Rechts auf Ergänzungsleistungen oder eine Hilflosenentschädigung oder auch Unterstützung bei administrativen Aufgaben oder bei der Verwaltung der Finanzen», berichtet Sabine Adler, Sozialarbeiterin bei Cogeria. Bei Personen, die das Haus nicht mehr oder nur noch selten verlassen, schlagen die Fachkräfte den Besuch Freiwilliger vom Roten Kreuz vor, um soziale Kontakte aufrechtzuerhalten. Oder sie erkundigen sich nach angepassten Aktivitäten im Quartier.
Das professionelle Netzwerk und das Umfeld der Person werden in allen Phasen des Prozesses – bei der Terminvereinbarung, dem geriatrischen Assessment, den Interventionen und den vorgeschlagenen Präventivmassnahmen – informiert, einbezogen, beteiligt oder sogar eng eingebunden. Das gilt auch für die weiterführende Behandlung und Betreuung. Sofern sich der Gesundheitszustand der Person nicht ändert oder gar erheblich verschlechtert, macht das Team von Cogeria innerhalb von drei bis sechs Monaten nach der Konsultation keinen weiteren Hausbesuch. Es bleibt aber mit ihr und ihrem gesamten Netz in Telefonkontakt und lässt sich informieren. Derzeit werden so etwa 500 Betagte in fragilen Situationen durch das kantonale Dispositiv Cogeria betreut. Seit der Lancierung des Programms konnten schon über 1000 Personen davon profitieren.
Innerhalb von fünf Jahren hat sich das Cogeria-Netzwerk ausgeweitet. «Unsere Erfahrung und unser Know-how im Bereich der Geriatrie sind gewachsen. Wir haben auch unser Verständnis des Gesundheits- und Sozialnetzes erweitert und eine flüssigere berufsübergreifende Kommunikation entwickelt», stellt Clément Graindorge fest. Geschätzt könnten sich im Kanton über 10'000 Personen an Cogeria wenden. Und da davon auszugehen ist, dass die Politik der häuslichen Betreuung fortgesetzt wird, dürfte das Dispositiv weiter wachsen. Das Team ist noch klein – insgesamt 16 Personen – und dürfte ebenfalls ausgebaut werden. Aber die Räumlichkeiten im Stadtzentrum werden bereits zu klein. Im nächsten Frühjahr ist deshalb ein Umzug geplant.
Quelle: Artikel aus dem Themenheft «Koordinierte Betreuung» in redaktioneller Zusammenarbeit der Paul Schiller Stiftung mit Artiset/Curaviva, Pro Senectute Schweiz, Alzheimer Schweiz, Gerontologie CH, Entlastungsdienst Schweiz, Schweizerisches Rotes Kreuz, senesuisse und der Spitex Schweiz (Dezember 2024).