Praxis

Die Menschen dort treffen, wo sie sind

Auch wenn die aufsuchende Altersarbeit noch als Pionierprojekt gilt: Sie kann Versorgungslücken schliessen und die älteren Menschen niederschwellig erreichen. Dies zeigt etwa die Arbeit des Vereins Fundus Basel oder auch die «Zugehende Beratung» von Alzheimer Zürich. Damit Projekte wie diese weiter ausgebaut werden können, benötigt es finanzielle Unterstützung.

Der Neuweilerplatz im Basler Quartier Neubad, einer Wohngegend im Westen der Stadt, ist ein belebter Ort mit Läden und Dienstleistern – und einer der Standorte im Quartier, wo Karin Predieri regelmässig anzutreffen ist. Sie ist soziokulturelle Animatorin und Geschäftsleiterin von Fundus Basel, dem Verein für aufsuchende Altersarbeit. «Wir stehen dort, wo die Menschen sind, gerade auch die älteren Menschen, um einzukaufen oder zum Coiffeur zu gehen» sagt sie. Unterwegs ist sie mit einem Lastenvelo, dank dem sie Flyer und Informationsmaterial von rund 50 Organisationen aus dem Altersbereich stets griffbereit hat, um auf diverse Fragen und Problemstellungen eine erste Antwort geben zu können.

An einem Dienstagvormittag Anfang Oktober begegnet Karin Predieri etlichen Personen, die sie bereits kennt, kommt aber auch mit einigen neuen Personen ins Gespräch: Zum Beispiel mit einer Dame, die ihr anvertraut, dass sie Unterstützung bei der Zubereitung des Mittagessens benötigt. Sie habe einen Mann mit Behinderung und schaffe das alles nicht mehr allein. Karin Predieri machte sie auf einen nahegelegenen Mittagstisch aufmerksam, der auch einen Hauslieferdienst anbietet. Sie setzt das Gespräch auf Französisch fort, weil die Dame französischer Muttersprache ist. «Es braucht viel Feingefühl, um das Vertrauen der Menschen zu gewinnen», weiss sie. Dies aber sei nötig, um ihnen wirklich helfen zu können. Im Verlauf der Unterhaltung realisiert die Fachfrau, dass die Dame womöglich weitere Unterstützung braucht und macht ihr den Vorschlag, an einem anderen Tag zu ihr nach Hause zu kommen, um ihr verschiedene Angebote näher zu erläutern – die Frau willigte ein.

Enge Zusammenarbeit mit Netzwerkpartnern

Neben Karin Predieri sind zwei weitere Fachpersonen unterwegs, im Quartier Schoren in Kleinbasel, wo vor wenigen Jahren alles angefangen hat, und im daran angrenzenden Hirzbrunnen-Quartier. Entstanden ist die aufsuchende Altersarbeit in Basel dabei aus der Quartierarbeit Hirzbrunnen. Bei einem Projekt im Schoren-Quartier habe man realisiert, dass gerade auch viele ältere Menschen Unterstützung brauchen, worauf im November 2019 der Verein Fundus Basel gegründet worden ist, der sich bis heute über Stiftungsgelder finanziert. Karin Predieri ist seit zwei Jahren mit dabei.

Von Beginn weg war und ist die Zusammenarbeit mit Organisationen, die sich für ältere Menschen engagieren, von zentraler Bedeutung für die Tätigkeit des Vereins. «Neben dem Erreichen vulnerabler älterer Menschen besteht unsere Aufgabe darin, diese an das passende Angebot zu vermitteln.» Predieri selbst konnte etwa eine Dame mit Demenz und auch deren Angehörige an die richtigen Fachstellen vermitteln. Andere Menschen vermittelte sie an Fahrdienste, Mittagstische und Besuchsdienste. Immer wieder gefragt sind auch rechtliche und finanzielle Beratungen.

Bis aber eine solche Vermittlung zustande kommen kann, sei viel Beziehungspflege nötig, beobachtet Predieri. Die Arbeit der Person vor Ort im Quartier habe deshalb eine zentrale Funktion. «Viele ältere Menschen wollen zunächst einfach nur reden, wir hören zu und fragen nach.» Dies schaffe die Grundlage dafür, dass sich jemand bei Problemen an uns wendet. Zudem gebe es auch viele vulnerable Personen, die selbst für die aufsuchende Altersarbeit nur mit grossem Aufwand zu erreichen sind. «Wir erleben viel Dankbarkeit für unsere Arbeit», freut sich Predieri, eine Arbeit, bei der es noch sehr viel zu tun gebe. Dafür seien dringend mehr finanzielle Mittel erforderlich.

«Zugehende Beratung» von Alzheimer Zürich

Die Menschen dort zu treffen, wo sie wohnen und leben, ist der Kernansatz der aufsuchenden Altersarbeit. Für den Altersforscher Riccardo Pardini von der Berner Fachhochschule, zeichnet sich ihr Arbeitsfeld dadurch aus, dass es Kontakte im Sozialraum der älteren Personen knüpft und pflegt, deren Bedürfnisse und Anliegen aufnimmt und letztlich über entsprechende (Unterstützungs-)Angebote informiert und vermittelt. Der Schwerpunkt der aufsuchenden Altersarbeit liegt in der psychosozialen Beziehungspflege mit den älteren Personen und in der Vernetzung mit den umliegenden Angeboten, damit ein langes selbstbestimmtes Leben im vertrauten Umfeld möglich wird. Das Arbeitsfeld ist damit ein wichtiger Teil der Betreuungsarbeit im Quartier.

Je nach Ausrichtung erstreckt sich der Wirkungsradius über ein oder mehrere Quartiere, Stadtteile, Gemeinden bis hin über Regionen. Zudem unterscheiden sich die einzelnen Projekte stark darin, wie stark sie den aktiven Kontakt mit den älteren Personen suchen. Gemein ist den Projekten der mobile Einsatz draussen an Orten, welche von den älteren Personen häufig frequentiert werden, wie Plätzen, Durchgangsstrassen zum Einkaufen, vor Apotheken, Haltestellen oder an sozialen und kulturellen Veranstaltungen. Oft stehen diese Projekte als ergänzende Angebote zu den gewöhnlichen Informations- und Anlaufstellen des Altersbereichs.

Die auffindbaren Projekte im Berder aufsuchenden Altersarbeit sind aktuell eher noch Pionierprojekte in der Schweiz – ganz anders als etwa bei der etablierten aufsuchenden Gassenarbeit oder Jugendarbeit. Erfahrungswerte müssen hier erst noch gesammelt werden. Unter diesen Projekten lassen sich neben Fundus Basel zum Beispiel die Mobile Altersarbeit der Stadt Aarau, das Altersnetzwerk Gantrisch, der Infobus «mobil bi dir» von Pro Senectute beider Basel oder das Angebot «Zugehende Beratung» von Alzheimer Zürich aufzählen, um nur einige Beispiele zu nennen.

Das Angebot «Zugehende Beratung» ist ein ergänzendes und spezialisiertes Beratungsangebot, das sowohl telefonisch, an der Beratungsstelle als auch zu Hause stattfindet, so Irène Taimako von Alzheimer Zürich. Es bietet eine längerfristige, fachliche Beratung für Angehörige von Menschen mit einer Demenz während des Krankheitsprozesses. Durch die kontinuierliche Begleitung wird dem Bedürfnis der pflegenden und betreuenden Angehörigen entsprochen, gemeinsam entlastende Möglichkeiten und Handlungsspielräume zu finden. Ziel der zugehenden Beratung, die in die Lebenswelten Betroffener geht und proaktiv Hilfe anbietet, ist es, ein kontinuierliches Vertrauensverhältnis aufzubauen.

Ansprechperson mit Koordinationsaufgabe

Ein Vorteil des aufsuchenden Ansatzes ist, so Riccardo Pardini, dass konventionelle Angebotsstrukturen, bei denen ältere Personen zu den Anlaufstellen gehen müssen (Kommstrukturen), aufgebrochen werden. Somit werde versucht, gerade jene Personen zu erreichen, die in prekären Situationen leben oder deren eingeschränkte Mobilität ein Aufsuchen weit entfernter Beratungsstellen nicht möglich macht. Aber auch Scham, eine mangelnde Infrastruktur oder Angst vor Kosten können «unsichtbare Türschwellen» darstellen. Die aufsuchende Altersarbeit kann für diese Personengruppe eine Versorgungslücke schliessen. Der Faktor, der dabei die grösste Rolle spielt: Das Angebot muss im alltäglichen Leben der Zielgruppen an öffentlichen oder zumindest halb öffentlichen Orten zu finden sein und Ansprechpersonen bereitstellen. Eine niederschwellige Kontaktaufnahme mit der Absicht der Sichtbarkeit ist der Kern.

Zudem würde, so Pardini, durch die regelmässige Präsenz vor Ort auch ein Vertrauensaufbau erfolgen. Dabei können die Angebote vor Ort unterschiedlich ausfallen. Oftmals geht es vorwiegend darum, ein offenes Ohr für die Belange der Bewohnerschaft anzubieten und Informationen zu vermitteln. Die aufsuchende Altersarbeit ist damit vor allem eine sichtbare Anlaufstelle im Quartier, die Informationen weitergibt und über Angebote berät, gleichzeitig aber auch den Ansatz verfolgt, ältere Personen zu Angeboten, zum Beispiel zur Beratungsstelle in einer Gemeinde zu überweisen. Koordinierte Betreuung wird in der aufsuchenden Altersarbeit nicht zwangsläufig darin verstanden, alle Angebote vor Ort selbst anzubieten, sondern ältere Personen vielmehr an die richtigen Stellen zu vermitteln. Somit unterstützt eine aufsuchende Altersarbeit besonders die Angebote vor Ort und kann folglich als Ergänzung gesehen werden.

Letztlich ist die aufsuchende Altersarbeit ein Ansatz, der das Betreuungssystem sinnvoll ergänzt und gerade durch seine Niederschwelligkeit versucht, mit der Zielgruppe in Kontakt zu treten, die durch klassische Angebote nicht erreicht wird. Für die Zukunft sind die Initiierung und langfristige Finanzierung solcher Projekte wünschenswert, sowie auch die Ausweitung hin zu Personen im stationären Altersbetreuungsbereich.

Quelle: Artikel aus dem Themenheft «Koordinierte Betreuung» in redaktioneller Zusammenarbeit der Paul Schiller Stiftung mit Artiset/Curaviva, Pro Senectute Schweiz, Alzheimer Schweiz, Gerontologie CH, Entlastungsdienst Schweiz, Schweizerisches Rotes Kreuz, senesuisse und der Spitex Schweiz (Dezember 2024).