Dossier
Am 19. Dezember hat der Nationalrat mit 129 zu 59 Stimmen zugestimmt, dass EL-Beziehende dank der Änderung des Ergänzungsleistungsgesetzes künftig Pauschalen für Betreuungsleistungen beziehen können.
Mit der Vorlage «24.070 Bundesgesetz über die Ergänzungsleistungen zur AHV/IV (Leistungen für Hilfe und Betreuung zu Hause)» diskutiert das Parlament erstmals über die schweizweite Verankerung der Betreuung im Alter – zumindest für EL-Berechtigte. Vor diesem Hintergrund kommt dem Geschäft eine grosse Bedeutung zu.
Die Paul Schiller Stiftung begleitet deshalb den Prozess und liefert hier in diesem Dossier regelmässig die Aktualitäten und Entwicklungen sowie Hintergrundinformationen.
Die Vorlage basiert auf der Motion «18.3716 Ergänzungsleistungen für betreutes Wohnen».
Mit einer klaren Mehrheit hat der Nationalrat am 19. Dezember die Änderungen des Ergänzungsleistungsgesetzes angenommen. Besonders erfreulich sind dabei zwei Anpassungen, die der Rat im Vergleich zur bundesrätlichen Vorlage vorgenommen hat:
- In Art. 14a Abs. 1 wurde eine Zielbeschreibung ergänzt, die deutlich macht, welche Form von Leistungen finanziert werden. Der Rat hält fest: Bezügerinnen und Bezüger einer jährlichen Ergänzungsleistung haben «Anspruch auf die Vergütung der Kosten für Leistungen zur Förderung und Erhaltung von Selbstbestimmung und Selbstständigkeit im Alltag, der sozialen und gesellschaftlichen Teilhabe und der Vorbeugung von sozialer Isolation, Immobilität und psychischen Krisen». Damit ist die von der Paul Schiller Stiftung und vielen weiteren Fachorganisationen und Stakeholdern geforderte psychosoziale Ausrichtung der Leistungen verankert worden.
- In Art. 14a Abs. 4 wurde entgegen anderer Anträge das Modell der Finanzierung über Pauschalen angenommen und der Umsetzungsspielraum der Kantone noch etwas erweitert. Damit ist sichergestellt, dass EL-Beziehende die Betreuung nicht vorfinanzieren müssen, was für viele nur schwierig leistbar wäre.
Der Rat ist damit den Empfehlungen gefolgt, die eine breite Allianz von Organisationen im Rahmen von Hearings, schriftlichen Stellungnahmen und Schreiben an die Parlamentsmitglieder formuliert hat.
Als nächstes ist der Ständerat am Zuge. Die zuständige Kommission diskutiert das Geschäft am 25. Februar 2025.
Protokoll der Ratsdebatte
Die für die Finanzierung von Betreuung über die Ergänzungsleistungen zuständige Kommission des Nationalrates, die SGK-N, hat am 17. Oktober 2024 Hearings zum Geschäft durchgeführt. Die Kommission hat danach einstimmig Eintreten auf das Geschäft beschlossen.
- Auch die Paul Schiller Stiftung war zur schriftlichen Stellungnahme eingeladen.
- Medienmitteilung (parlament.ch)
Am 8. November hat die sie die Detailberatung des Geschäfts durchgeführt. Dabei wurden verschiedene Anträge diskutiert und die Vorlage noch einmal angepasst. So wurde in der Leistungsbeschreibung präzisiert, dass die Leistungen psychosoziale Aspekte der Betreuung berücksichtigen. Der Vorschlag des Bundesrates, die Finanzierung über Pauschalen abzuwickeln, fand in der Kommission eine deutliche Mehrheit. Die Kommission hat zudem die Formulierung der Pauschalen-Ausgestaltung so angepasst, dass die Kantone über grössere Flexibilität verfügen, wie genau sie diese Pauschalen ausgestalten wollen. Anträge zur Erhöhung des Mindestbetrags von 11’160 Schweizer Franken fanden keine Mehrheit.
Aus Sicht der Paul Schiller Stiftung haben die Anpassungen der Kommission das Geschäft weiter verbessert. Insbesondere der psychosozial ausgerichtete Leistungsbeschrieb ist eine wichtige Voraussetzung für eine wirkungsvolle Umsetzung durch die Kantone. Als nächster diskutiert der Nationalrat diesen Dezember als Gesamtrat die Vorlage.
Der Bundesrat hat im Mai 2024 die Antworten aus der Vernehmlassung zur Kenntnis genommen und Eckwerte für seine Vorlage an das Parlament beschlossen:
- Die Stossrichtung der Vorlage wurde von allen Vernehmlassungs-Teilnehmenden begrüsst. Die Form der Umsetzung jedoch kritisiert.
- Der Bundesrat bekräftigt seinen Willen, die Betreuung stärken zu wollen. Er weitet die Vorlage auch auf den IV-Bereich aus.
- Einem Teil der Kritik trägt der Bundesrat Rechnung – durch den Entscheid, eine Pauschale für Betreuung einzuführen. Allerdings weiterhin über das Instrument der Krankheits- und Behinderungskosten anstatt wie von vielen Akteurinnen und Akteuren gefordert über die jährlichen Ergänzungsleistungen.
- Der Leistungskatalog bleibt so bestehen, wie in der ursprünglichen Vorlage vom Juni 2023 war. Es können Kosten übernommen werden für folgende Kategorien:
- Mietzuschlag für eine altersgerechte oder barrierefreie Wohnung
- Vergütung für die Anpassung der Wohnung
- Notrufsystem
- Haushaltshilfe
- Mahlzeitendienst
- Fahr- oder Begleitdienst
Die Kritik, dass die psychosoziale Ausrichtung hier zu wenig zum Tragen komme, berücksichtigt der Bundesrat damit nicht.
Die Vorlage ans Parlament kündigt er Bundesrat auf Herbst 2024 an. Danach wird sie voraussichtlich zuerst in der zuständigen Kommission des Nationalrates, der SGK-N, beraten.
Der Bundesrat hat am 21. Juni 2023 seinen Vorschlag zur Umsetzung der Motion präsentiert und in die Vernehmlassung geschickt. Die Vernehmlassungsfrist lief bis am 23. Oktober 2023.
Der Bundesrat anerkennt im Bericht zur Vorlage die präventive Wirkung der guten Betreuung im Alter und bestätigt den Handlungsbedarf, Betreuung eigenständig zu regeln und zu finanzieren. Er spricht von einem «Paradigmenwechsel» in der fachlichen und öffentlichen Diskussion, der dazu führe, dass «Überlegungen immer stärker auf die Betreuungsleistungen ausgerichtet» werden.
Konkret schlägt der Bundesrat vor:
- Wohnformunabhängige Finanzierung: sowohl im angestammten Zuhause als auch in intermediären Wohnformen. Die Vorlage stärkt damit die Wahlfreiheit der älteren Menschen und erfüllt einen unserer zentralen Umsetzungsvorschläge, die wir 2022 formuliert hatten.
- Fünf Leistungskategorien, in denen Betreuung finanziert wird: ein Notrufsystem, Haushalthilfe, Mahlzeitendienst, Fahr- und Begleitdienste, die Anpassung der Wohnung an die Bedürfnisse des Alters und ein Mietzuschlag für eine altersgerechte Wohnung. Hier berücksichtigt er teilweise die psychosoziale Ausrichtung der Betreuung, insbesondere beim Begleitdienst, der weit über die heute gängigen Fahrdienste zu Arzt- und Therapieterminen hinausgeht.
- Die Finanzierung soll über die Krankheits- und Behinderungskosten erfolgen. Damit fallen die Kosten nur bei den Kantonen an und die älteren Menschen müssen die bezogenen Leistungen vorfinanzieren. Die Rückvergütung von Seiten der EL erhalten sie erst, nachdem sie die Rechnung bezahlt und eingereicht haben. Das von der Paul Schiller Stiftung in Auftrag gegebene juristische Gutachten sowie die Position der Sozialdirektorenkonferenz SODK haben im Gegensatz dazu eine Pauschale in der jährlichen Ergänzungsleistung vorgeschlagen.
- Der Bundesrat rechnet mit Blick auf die demografische Entwicklung im Jahr 2030 mit Kosten zwischen 227 und 476 Millionen Franken für die Kantone. Demgegenüber errechnet er Einsparungen von 279 Millionen Franken durch verzögerte Heimeintritte. Wir betrachten das als massvolle Kostenschätzung.
Im Austausch mit weiteren Organisationen hat die Paul Schiller Stiftung den Vernehmlassungsprozess begleitet und eine detaillierte Stellungnahme ausgearbeitet. Eingereichte Stellungnahmen weiterer Akteurinnen und Akteure.
Zu beachten ist, dass auch der Kanton Zürich eine Anpassung seiner kantonalen Ergänzungsleistungen plant und im April 2023 eine interessante Vorlage in die Vernehmlassung geschickt hat. Diese verzichtet beispielsweise auf Leistungskategorien und wählt eine offenere Definition. Die Auswertung dieser kantonalen Vernehmlassung liegt zum Zeitpunkt dieser Meldung noch nicht vor.
Das Parlament hat die Motion im Dezember 2019 verabschiedet. Der Bundesrat, bzw. das zuständige Bundesamt für Sozialversicherung, Abteilung Sozialversicherung hat damit den Auftrag, Vorschläge zur Umsetzung dieser Motion zu erarbeiten.
Der Vorschlag zur Umsetzung der Motion wird in der ersten Jahreshälfte 2023 erwartet. Mit einem von der Paul Schiller Stiftung in Auftrag gegebenen Gutachten von Prof. Dr. iur. Hardy Landolt und unserem Diskussionsbeitrag zeigen wir auf, wie eine wirkungsvolle Umsetzung aussehen könnte.
Wir favorisieren dazu eine Teilfinanzierung jener Kosten der Betreuungsleistungen, die von anderen Sozialversicherungen nicht gedeckt werden, via jährliche Ergänzungsleistungen für alle Wohnformen. Dazu eignet sich eine Anpassung von Art. 10 ELG. Zudem braucht es eine grobe Konkretisierung der Betreuungsleistungen sowie eine Angleichung der minimalen EL-Höchstbeiträge im AHV-Bereich auf das IV-Niveau.
Auch die Sozialdirektorenkonferenz hat sich bereits zur Umsetzung der Vorlage positioniert und fordert eine Anpassung des Art. 10 ELG. Der Schweizerische Städteverband hat ein allgemeines Positionspapier zu Betreuung und Hilfe im Alter verabschiedet und ebenfalls eine wohnformunabhängige Umsetzung angeregt.
Zuständige Nationalratskommission beharrt auf wohnformunabhängiger Umsetzung
Als Grundlage für seine Umsetzungsarbeiten hat das Bundesamt einen Auftrag für eine Studie vergeben. Im Rahmen dieser Studie wurden Expertengespräche mit mehreren Akteuren im Altersbereich geführt. Dabei wurde deutlich, dass als Grundlage für die weiteren Arbeiten eine enge Definition von betreutem Wohnen gewählt wurde, die nicht dem aktuellen Stand der Fachwelt und Praxis entspricht und erneut zu Fehlanreizen führen würde.
An ihrer Sitzung Ende Oktober 2021 hat die nationalrätliche Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit (SGK-N) auf den Brief der Organisationen reagiert und mit einem Schreiben den Bundesrat aufgefordert, die Motion nicht nur in Bezug auf Alters- und Pflegeheime sondern unabhängig der Wohnform umzusetzen. (vgl. Medienmitteilung, unterster Abschnitt). Dies war eine Reaktion auf die Tatsache, dass im Rahmen von Expertengesprächen deutlich wurde, dass das zuständige Bundesamt im Moment auf der Basis einer eng gefassten Definition von betreutem Wohnen Umsetzungsvarianten entwickelt.
Im Rahmen einer parlamentarischen Frage von Nationalrätin Flavia Wasserfallen hat der Bundesrat im März 2021 angekündigt, dass im Frühjahr 2022 ein Gesetzesentwurf in die Vernehmlassung geht. Aktuell werden mit einer Studie die Grundlagen erarbeitet. Mit der Intervention der SGK-N ist davon auszugehen, dass sich dieser Zeitplan verzögert.
Das System der Ergänzungsleistungen
Ergänzungsleistungen werden zusätzlich zu einer AHV- oder IV-Rente ausbezahlt, wenn die Renten und das Einkommen nicht die minimalen Lebenskosten decken. Sie berechnen sich aus der Differenz zwischen anerkannten Ausgaben und anrechenbaren Einnahmen. Heute werden zwei Kategorien von Personen unterschieden:
- Zu Hause lebend
- Im Heim lebend
Aus Sicht der Betreuung im Alter können im heutigen System folgende Ausgaben geltend gemacht haben.
Zu Hause lebend: erhöhter Höchstbetrag für Mietzinsausgaben um CHF 3600.00, Krankheitskosten bei vorliegendem Arztzeugnis
Im Heim lebend: Tagestaxe (Kantone können Höchstwert festlegen)
Die Abrechnung via EL setzt demnach voraus, dass ich entweder im Heim bin oder krank bin und dass von einem Arzt bescheinigt erhalte. Wenn ein Bedarf an Betreuung besteht, liegt aber nicht zwingend eine Krankschreibung vor.
Betreuung als eigenständige Unterstützungsform im Alter
Bei der Betrachtung des Alltags alter Menschen mit Unterstützungsbedarf zeigt sich, dass die pflegerische Zeit einen kleinen Teil im Tagesverlauf einnimmt und der grosse Anteil in der übrigen Alltagsgestaltung liegt.
Betreuung im Alter unterstützt ältere Menschen, ihren Alltag selbständig zu gestalten und am gesellschaftlichen Leben teilzuhaben, wenn sie das aus eigenen Kräften nicht mehr können. Gute Betreuung richtet sich konsequent an den Bedürfnissen der betagten Person aus und behält nebst dem körperlichen auch das psychosoziale Wohlbefinden im Blick.
Betreuung im Alter lässt sich nicht mit einem abschliessenden Leistungskatalog definieren. Sie umfasst eine Vielzahl von Aktivitäten, die sich in sechs Handlungsfeldern zusammenfassen lassen: Selbstsorge, Alltagsgestaltung, Haushaltsführung, soziale Teilhabe, Betreuung in Pflegesituationen, Beratungs- und (Alltags-)Koordination.
Mit der Bearbeitung der Motion ‘betreutes Wohnen’ wird das Parlament erstmalig zu Betreuung im Alter legiferieren. Das vorliegende Papier der Paul Schiller Stiftung zeigt auf, wie die Motion zielführend umgesetzt werden kann. Es stützt sich auf ein juristisches Gutachten, das die Möglichkeiten zur Umsetzung der Motion und den weiteren gesetzgeberischen Handlungbedarf aufgezeigt.
Um zu frühe Heimeintritte zu verhindern, muss die Umsetzung praxisorientiert ausgerichtet sein und die Begrifflichkeiten sind unzweideutig und griffig festzulegen.
Das zentrale Anliegen: Die neue Finanzierung muss Fehlanreize beseitigen, das heisst für betreutes Wohnen in allen Wohnformen realisiert werden und psychosoziale und agogisch-aktivierende Betreuungsleistungen berücksichtigen. So kann das politische und gesellschaftliche Ziel, im Alter möglichst lange zu Hause zu leben, gestärkt werden.
Wir favorisieren dazu eine Teilfinanzierung jener Kosten der Betreuungsleistungen, die von anderen Sozialversicherungen nicht gedeckt werden, via jährliche Ergänzungsleistungen für alle Wohnformen. Dazu eignet sich eine Anpassung von Art. 10 ELG. Zudem braucht es eine grobe Konkretisierung der Betreuungsleistungen sowie eine Angleichung der minimalen EL-Höchstbeiträge im AHV-Bereich auf das IV-Niveau.
Vollständiger Diskussionsbeitrag der Paul Schiller Stiftung 2022
Gutachten Prof. Dr. iur. Hardy Landolt
- Informationen des Bundesamtes für Sozialversicherung zu den Ergänzungsleistungen (EL)
- Vision und Positionierung der Sozialdirektorenkonferenz SODK zu betreutem Wohnen
- Positionspapier des Schweizerischen Städteverbands zur Umsetzung der Motion
- «Vision Wohnen im Alter», Wohn- und Pflegemodell 2030 von CURAVIVA Schweiz,
- Bannwart Livia und Kilian Künzi (2018): Untersuchung zum betreuten Wohnen, Einsparpotential, Ausmass der Hilfsbedürftigkeit, Höhe des EL-Pauschalbeitrags, Studie im Auftrag des BSV, Bern: Büro für arbeits- und sozialpolitische Studien BASS
- Anpassung der Ergänzungsleistungen im Kanton Zürich für eine Stärkung der Betreuung – Stellungnahme der Paul Schiller Stiftung