«Wir passen uns dem Alltag und den Wünschen unserer Bewohnenden an – nicht umgekehrt.»

Wie sieht der Abschied aus den eigenen vier Wänden aus – ein Abschied für immer? Wenn betagte Menschen ihr Zuhause verlassen, ist dies für alle Beteiligten ein anspruchsvoller Schritt. Das Kompetenzzentrum für Lebensqualität Schönbühl in Schaffhausen gestaltet diesen Schritt mit Empathie und der nötigen Prise Gleichmut, so dass für die Ankommenden neuer Alltag entstehen kann.

Der Umzug in eine stationäre Einrichtung ist kein leichter Schritt. Oft gehen dem Umzug Gespräche mit den Angehörigen, nagende Abwägungen und zeitraubende Abklärungen voraus. Und immer öfter wird er zur Belastungsprobe für die Familien, wie Theo Deutschmann, Geschäftsführer des Schönbühl, erzählt:

«Nicht selten benötigen die Angehörigen Zuspruch, weil sie sich vorwerfen, die Eltern im Heim abzugeben. Sie meinen, sie hätten versagt.» Und er ergänzt: «Das ist natürlich fast immer unwahr – zeigt uns aber deutlich, wie ein gesellschaftliches Problem auf den Schultern der einzelnen Familie ausgetragen wird.» Die Betreuung älterer Angehöriger könne unter den Erfordernissen der heutigen Arbeitswelt nicht mehr im Familienverbund geleistet werden. «Trotzdem geistert immer noch das Ideal der Grossfamilie von einst rum – daran kann man nur scheitern.»

Das Schönbühl ist hingegen wie eine Grossfamilie, schwärmt Regula Rösner, Leiterin Betreuung. «Unser Ziel ist, dass sich die neuen Bewohnerinnen und Bewohner rasch wohl fühlen – alle, die neu kommen, haben eine fixe Betreuungsperson für ihre Anliegen. Die eigenen Möbel, ja sogar die eigene Bettwäsche, stehen ab der ersten Stunde bereit.» Dies vermittle Vertrautheit und Kontinuität.

«Nicht selten benötigen die Angehörigen Zuspruch, weil sie sich vorwerfen, die Eltern im Heim abzugeben. Sie meinen, sie hätten versagt.»
Theo Deutschmann, Geschäftsführer Schönbühl, Kompetenzzentrum für Lebensqualität, Schaffhausen

Die Fachpersonen Betreuung und die Pflegefachpersonen tragen weder Namensschilder noch Arbeitskleidung und regelmässig kommt der Hund von Frau Rösner auf Besuch. Gekocht und gelebt wird gemeinsam: «Wir passen uns dem Alltag und den Wünschen unserer Bewohnerinnen und Bewohner an – nicht umgekehrt.»

Sehen, was möglich ist

Die Betreuung im Schönbühl hat sich in den letzten 20 Jahren stark verändert. Das Durchschnittsalter beim Eintritt stieg von 79 auf 85 Jahre. Gleichzeitig lebt heute die Mehrheit der 90-jährigen Menschen in der Schweiz noch zu Hause. Dies wirkt sich auf den Alltag aus: «Viele unserer Bewohnerinnen und Bewohner leiden bereits beim Eintritt an mehreren Krankheiten. Dies macht nicht nur die Pflege, sondern auch die Betreuungsarbeit im Alltag anspruchsvoller und zeitaufwendiger», sagt Rösner. «Unter diesen Bedingungen für ihr psychosoziales Wohlbefinden zu sorgen, benötigt besonders viel Zeit.»

Vor allem wenn – wie im Schönbühl angestrebt – die eigenen Ressourcen der Bewohnerinnen und Bewohner gestärkt werden sollen. Unter anderem kann dies bedeuten, am Morgen beim Anziehen zu assistieren: «Bei dementen Bewohnenden kann dies 45 Minuten dauern – wenn wir sie einfach selbst einkleiden würden, hätten wir dies in 15 Minuten erledigt und könnten diese Zeit als Pflege abrechnen. Die zusätzliche Zeit ist Betreuung und gibt den Menschen Selbstachtung.»

Deutschmann hakt ein: «Wir sind mit grotesken Einteilungen konfrontiert: Wenn Frau Rösner das Essen von Bewohner Müller zerkleinert und ihm hilft, bezahlt dies die Kasse. Wenn sie aber Herrn Müller unterstützt, überhaupt erst an den Tisch zu gehen, dann müssen wir dies auf die Bewohnerinnen und Bewohner abwälzen oder wir machen es gar nicht. Dabei ist das gemeinsame Essen sehr wichtig.» Diese technokratischen Einteilungen erschwerten oder verteuerten gute Betreuung massiv. Deutschmann versucht so gut wie möglich, die Betreuungsarbeit des Personals nicht zusätzlich mit Formalitäten zu überfrachten. «Denn Betreuung hat ihre eigene Zeitlichkeit.»