«Das Herz vergisst nicht.»

Ein paar Autominuten ausserhalb von Fribourg, quasi auf der grünen Wiese, befindet sich «Die Familie im Garten». Eine Tagesstätte für Menschen mit Gedächtnisstörungen. Wenn der Kopf nicht mehr so tut, wie er soll, wird die individuelle Betreuung umso wichtiger.

Ursula Neuhaus, Verantwortliche für den sozialpädagogischen Bereich, nimmt zusammen mit ihrem Team die eintreffenden Gäste an der Türschwelle in Empfang. «Bonjour, ça va?». Den Ankommenden steht die Freude ins Gesicht geschrieben. Der Umgang wirkt vertraut, das Haus, eine ehemalige Milchzentrale, wirkt einladend. Während es sich eine Katze draussen im Garten gemütlich macht, verteilen sich drinnen die Menschen in kleine Gruppen. Zwei Gäste helfen mit, das Mittagessen zu kochen, während andere unter Begleitung einer Betreuerin sticken. Neuhaus will ihre Gäste einbeziehen und ihnen etwas zutrauen: «Wie bei einer richtigen Familie übernimmt bei uns jede Person eine Aufgabe und trägt nach ihren Kräften einen Teil zur Gemeinschaft bei.»

Beschäftigung um der Beschäftigung willen ist bei «Die Familie im Garten» verpönt. So wird beispielsweise die Weihnachtsdekoration auf dem lokalen Markt verkauft und trägt zur Kostendeckung der Tagesstätte bei. Trotz kantonaler Akkreditierung ist «Die Familie im Garten» weiterhin auf Spenden und zahlreiche Freiwillige angewiesen: Beides zusammen sind wesentliche Stützen des Betriebs. Die Freiwilligen werden geschult und nehmen an internen Team-Weiterbildungen teil. Jeden Tag helfen sie beim Fahrdienst, in der Küche, im Garten und bei der Betreuung der Gäste mit.

Alle können sich einbringen

«Es fehlt hier an nichts», sagt Herr Genoud, ein älterer Gast, der früher im Gebiet Gruyère als Hirt arbeitete und oft mit dem Vieh allein unterwegs war.

Er habe in seiner Alphütte täglich gekocht – Ursula Neuhaus nickt: «Herr Genoud rüstet oft das Gemüse. Wir orientieren uns an den Ressourcen und der Biografie der Menschen.» Sie denkt nach und ergänzt: «Es geht noch so lange so viel.» Deshalb versuchen Neuhaus und ihr Team, die Gäste zu motivieren und trotz Einschränkungen die Freude am Ausprobieren, am Leben, Tag für Tag zu wecken. Hingegen würde sich das aktuelle System der Pflege noch zu oft auf die Defizite und potenziellen Gefahren für die erkrankten Personen fokussieren.

«Wenn eine ehemalige Bäckerin um 3 Uhr in der Nacht aufsteht und meint, sie müsse in die Backstube, dann weisen wir eine solche Äusserung nicht zurück, sondern versuchen, die Person im Gespräch wieder ins Hier und Jetzt zu begleiten.»
Ursula Neuhaus, Leiterin Aktivierung «Die Familie im Garten»

Der Mensch steht im Zentrum

Um die betreuenden Angehörigen zu entlasten, nimmt die Tagesstätte auch Gäste für ein Wochenende auf, also auch über Nacht. «Dabei ist besonders wichtig, dass wir als Betreuende den einzelnen Menschen und sein Anliegen ernst nehmen. Wir gehen auf sie und ihre aktuelle – aber auch vergangene – Lebenswelt ein. Wenn eine ehemalige Bäckerin um 3 Uhr in der Nacht aufsteht und meint, sie müsse in die Backstube, dann weisen wir eine solche Äusserung nicht zurück, sondern versuchen, die Person im Gespräch wieder ins Hier und Jetzt zu begleiten.» Die wertschätzende, empathische Haltung gegenüber dementen oder verwirrten Personen wird als Validation bezeichnet. Sie zielt darauf ab, den Menschen ganzheitlich zu erfassen, ihn zu berühren. «Wenn der Kopf nicht mehr will, sprechen wir die Gefühle an – denn das Herz vergisst nicht.» Validation verringere Unmut oder gar tätliche Aggression von dementen Personen. Damit leistet die Tagesstätte einen entscheidenden Beitrag für die Entlastung der Angehörigen. Denn diesen fehlt im Alltag manchmal die nötige Ruhe und Zeit, auf die erkrankte Person einzugehen.