Paul Schiller Stiftung

Schlussnotiz von Herbert Bühl, Präsident des Stiftungsrates

Nach 20 Jahren Engagement legt Herbert Bühl Ende Monat sein Amt als Stiftungsratspräsident der Paul Schiller Stiftung nieder. Er hat «Gute Betreuung im Alter» massgeblich mitgeprägt. In seiner abschliessenden Notiz zieht er Bilanz über die nahezu 10 Jahre dieses Programms – und macht einen politischen Ausblick.

20.06.2025

Liebe Leserin, lieber Leser

Am 1. Juli 2005 begann meine Zeit als Mitglied des Stiftungsrats der Paul Schiller Stiftung. Demnächst, am 30. Juni 2025, endet sie. In diesen 20 Jahren hat sich die Paul Schiller Stiftung gewandelt: von einer reinen Förderstiftung, welche auf Gesuch hin für gemeinnützige Projekte Beiträge gewährt, zu einer Stiftung, die auch stiftungseigene Programme und Projekte initiiert und durchführt. Unser 1973 verstorbener Stifter, Paul Schiller, hatte diese Möglichkeit in seiner 1971 verfassten letztwilligen Verfügung mitgedacht.

Der dreiköpfige Stiftungsrat lancierte 2016 das Programm «Gut altern» mit dem Ziel, der Betreuung älterer Menschen in der Schweiz den ihr gebührenden Stellenwert zu geben. Die Bevölkerung wächst und zugleich wird sie älter. Meine Generation, gerne als «Boomer» bezeichnet, wird die Zahl der Hochaltrigen in den nächsten 15 Jahren in die Höhe schnellen lassen. Würden wir bei der heutigen Heimplatzquote bleiben, müssten bis 2040 in der Schweiz 921 neue Pflegeheime gebaut werden.[1] Der Bau von Heimen würde die kommunalen und kantonalen Finanzhaushalte stark belasten. Das Leben im Heim ist für Bewohnerinnen und Bewohner kostspielig und für die Mehrheit ohne Ergänzungsleistungen (EL) nicht finanzierbar.[2] Die Ergänzungsleistungen werden vom Bund und den Kantonen getragen.[3] Kantone und die Gemeinden sind zudem in die Finanzierung der Pflegekosten eingebunden.

Alle drei föderalen Ebenen haben demnach ein finanzielles Interesse daran, dass ältere Menschen möglichst lange in ihrem Zuhause wohnen bleiben – auch wenn sie altersbedingt fragiler werden. Um dies zu ermöglichen, brauchen sie in verschiedener Hinsicht Unterstützung. Dabei scheint es erst einmal naheliegend, an ihre Familie und an Freiwillige zu denken. Die von Mitte-Rechts gerne vorgetragene Beschwörung der gutschweizerischen Solidarität und Eigenverantwortung kann hier kaum zu einer tragfähigen Lösung beitragen. Dafür gibt es mehrere Gründe:

Punkt 1:

Eine durchschnittliche Familie in der Schweiz hat heute noch ein oder zwei Kinder.[4] Früher konnte die Betreuung der Eltern unter drei oder vier Geschwistern aufgeteilt werden. Früher lebten die Kinder oft im selben Dorf, in derselben Stadt oder in der gleichen Region.

Punkt 2:

Die Deindustrialisierung der Schweiz, das Wachstum des Dienstleistungssektors, der seither erfolgte Ausbau und die Verdichtung des ÖV-Angebotes sowie ein verändertes Mobilitätsverhalten der Bevölkerung haben dazu geführt, dass sich Arbeiten und Wohnen während der letzten 40 Jahre räumlich neu organisierten. Die Lebensmittelpunkte der Eltern und ihrer erwachsenen Kinder liegen häufig weit auseinander, sodass die Betreuung eines älteren Elternteils – etwa mit der Unterstützung bei der Haushaltsführung, der Begleitung zu einem Arzttermin, der Ermöglichung sozialer Kontakte mit Freundinnen und Bekannten, dem gemeinsamen Besuch eines Konzerts oder dem Vorlesen aus einem Buch (weil die eigene Sehkraft nicht mehr ausreicht) – höchstens punktuell möglich ist, aber nicht regelmässig und nicht bei Bedarf.

Nehmen wir das Beispiel einer Tochter, die zwei Wegstunden vom Zuhause ihrer Mutter entfernt lebt: Reduziert sie ihr Arbeitspensum, um Betreuungszeit für die Mutter zu gewinnen und zwei Mal pro Woche anzureisen, um die Mutter während jeweils zwei bis drei Stunden betreuend zu unterstützen, schmälert sie ihre eigenen AHV- und Pensionskassen-Rentenerwartungen. Bei der AHV gäbe es grundsätzlich die Möglichkeit, sich Betreuungsgutschriften anrechnen zu lassen. Diese können aber nur geltend gemacht werden, wenn die Wegzeit für die betreuende Person weniger als eine Stunde beträgt und wenn der zu betreuenden Person bereits eine Hilflosenentschädigung zugesprochen wurde.[5] Das ist kein positiver Anreiz für die arbeitende Bevölkerung, Angehörige zu betreuen – eher eine bürokratische Abwehrmassnahme.

Punkt 3:

Heute bleiben viele Erwachsene kinderlos, Tendenz steigend.[6] In gut einem Drittel aller Haushalte lebt nur eine Person. Viele Alleinstehende können im Bedarfsfall nicht mit Betreuung aus ihrem Familienumfeld rechnen.

Was tun? Um weiterhin auf die vielgepriesene Solidarität und Eigenverantwortung zu setzen, könnte man sagen: Greifen wir auf das Heer der Freiwilligen zurück, das die Schweiz bevölkert.

Auch das hält einer ernsthaften Betrachtung nicht stand: Gut 30 Prozent der 55- bis 64-Jährigen und knapp 40 Prozent der 65- bis 74-Jährigen leisten gemäss Bundesamt für Statistik BFS in der Schweiz informelle Freiwilligenarbeit, wozu auch die Betreuung von Angehörigen, zum Beispiel der Enkel oder der Eltern, gehört.[7] Bei allen anderen Altersgruppen liegen die Anteile klar unter 30 Prozent. Die «motiviertesten» Freiwilligen sind also frisch pensioniert, rüstig und auf der Suche nach neuen Aufgaben. Das politische Mitte-Rechts-Milieu sähe diese Gruppe aber ebenso gern in der Erwerbsarbeit und engagiert sich seit Jahren immer wieder für höhere Rentenalter.

Zu beachten ist vor allem, dass die Generationen, die nach den «Boomern» ins Rentenalter kommen, und aus denen die Freiwilligen dann hauptsächlich zu rekrutieren wären, zahlenmässig kleiner sind als jene der «Boomer». Das heisst: Einer wachsenden Zahl von Betreuungsbedürftigen wird während der nächsten 15 bis 20 Jahre eine schrumpfende Zahl potenzieller Freiwilliger gegenüberstehen.

Wer sich ernsthaft mit dem Thema auseinandersetzt, stellt fest: Bei der Betreuung älterer Menschen vor allem auf Familienangehörige und Freiwillige zu setzen, ist ein Konzept, das die Lebensrealitäten in der Schweiz ausblendet und die zukünftig verfügbaren freiwilligen Humanressourcen klar überschätzt. Ohne den rechtzeitigen Aufbau professioneller, qualitativ anerkannter Unterstützungs- und Betreuungsangebote für den ambulanten Bereich und ohne deren staatliche finanzielle Unterstützung würden ältere Menschen mit geringem Einkommen auf ein «böses Alter» zusteuern.

Die Paul Schiller Stiftung hat sich während nunmehr 10 Jahren mit einem gesamthaften Mitteleinsatz von rund 4 Millionen Franken anwaltschaftlich dafür engagiert, dass die Betreuung älterer Menschen zu Hause oder in einem Alters- und Pflegeheim einen Stellenwert erhält, der ihnen ein würdevolles Altsein und ein möglichst selbstbestimmtes Leben erlaubt. Wir haben zur Erforschung der oben beschriebenen Fragen beigetragen und tun dies weiterhin. Dafür haben wir innerhalb der Stiftung ein Team aufgebaut, im Stiftungssektor Verbündete gesucht und gefunden, eine Zusammenarbeit mit der Forschung entwickelt – und deren Ergebnisse der alterspolitisch interessierten Öffentlichkeit zur Diskussion gestellt. Wir haben Plattformen für den Austausch zwischen institutionellen Leistungsanbietenden, verschiedenen Verwaltungs- und Politikebenen angeboten und versucht, Berufsleute aus Pflege, Betreuung und Verwaltung miteinander zu vernetzen. Wir haben uns um eine Klärung des Betreuungsbegriffs bemüht und hoffentlich dazu beigetragen, dass für die Abklärung des Betreuungsbedarfs ein geeignetes Instrument zur Verfügung steht. Wir informieren seit Jahren auf der Webseite gutaltern.ch und mit dem Newsletter. Wir sprechen mit Politikerinnen und Politikern aller Couleur. Wir haben immer wieder für ein gutes Altern in der Schweiz lobbyiert.

Daher freut es mich nun, dass die Bundesversammlung der Schweizerischen Eidgenossenschaft Artikel 14a neu ins ELG geschrieben hat. Das ist ein wichtiger Schritt, um Menschen mit geringem Einkommen ein selbstständiges und selbstbestimmtes Leben im Alter zu ermöglichen. Und ich bin überzeugt, dass eine gute Umsetzung dieser Neuerung die wichtige Unterstützung der älteren Menschen durch Familienangehörige und Freiwillige anerkennt – aber auch die Grenzen dieser Ressourcen mit Blick auf die nächsten Jahrzehnte berücksichtigt.

Ich danke meinen Kolleginnen und Kollegen des Projektteams der Paul Schiller Stiftung, Maja Nagel Dettling (Stiftungsrätin, Leitung), Rainer Hartmann (Stiftungsrat), Miriam C. Wetter (Stabsstelle), Prof. Dr. Carlo Knöpfel (Experte), Eusebius Spescha (Experte), Gaby Wyser und Simona Cueni (Kommunikation, Weissgrund AG) für ihr ausdauerndes, beherztes und inspirierendes Engagement. Und ich wünsche auch Ihnen, liebe Leserin, lieber Leser, alles Gute, Ausdauer und Motivation.

Freundliche Grüsse
Herbert Bühl

[1] Pellegrini, S., Dutoit, L., Pahud, O. & Dorn, M. (2022): Bedarf an Alters- und Langzeitpflege in der Schweiz. Prognosen bis 2040 (Obsan Bericht 03/2022). Neuchâtel: Schweizerisches Gesundheitsobservatorium, S. 56, Referenzszenario.
[2] CURAVIVA (2025): Faktenblatt: Pflegefinanzierung in der Schweiz. Hrsg.: CURAVIVA.
[3] Art. 13 Bundesgesetz über Ergänzungsleistungen zur Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenversicherung (ELG) vom 6. Oktober 2006 (SR 831.30).
[4] Durchschnittliche Kinderzahl pro Frau 2023: 1.3. BFS, Datenstand: 5.6.2024, (https://www.bfs.admin.ch/bfs/de/home/statistiken/bevoelkerung/geburten-todesfaelle/fruchtbarkeit.assetdetail.32486272.html)
[5] AHV Merkblatt Betreuungsgutschriften 1.03-21/01-D.
[6] Heger-Laube, Isabel, Rebecca Durollet, Yann Bochsler, Sandra Janett und Carlo Knöpfel (2023). Alt werden ohne betreuende Familienangehörige: Eine qualitative Studie. Muttenz: Fachhochschule Nordwestschweiz, Hochschule für Soziale Arbeit.
[7] BFS – Schweizerische Arbeitskräfteerhebung (SAKE), Modul «Unbezahlte Arbeit», Datenstand: 04.06.2025.