Politische Standortbestimmung

Es braucht eine koordinierte Betreuungspolitik

Der demografische Wandel stellt die Schweiz wie andere Länder vor grosse Herausforderungen. Mit Betreuung besteht ein wichtiges Instrument, um diesen zu begegnen. Doch Betreuung im Alter ist in der Schweiz nicht finanziert und muss weitestgehend aus dem eigenen Portemonnaie finanziert werden. Die Folge: Über 620'000 Menschen über 65 Jahren erhalten keine Betreuung, obwohl sie eine brauchen würden. Vor diesem Hintergrund ist es von grosser Bedeutung, Betreuung als zentralen Bestandteil einer wirkungsvollen Alterspolitik anzuerkennen.

11.12.2024

Die Finanzierung der Betreuung ist – je nach Wohnort – unterschiedlich geregelt, sie ist jedoch nie über die Krankenkassen bezahlt: Im stationären Bereich wird sie als separate Betreuungstaxe oder als Teil der Hotellerie den Bewohnenden direkt in Rechnung gestellt, wobei dies – bei Menschen ohne die notwendigen finanziellen Mittel – schlussendlich der öffentlichen Hand verrechnet wird. Im intermediären Bereich und zu Hause geht sie ausschliesslich zu Lasten der Privathaushalte. In einigen Kantonen und Gemeinden werden gewisse Leistungserbringer subventioniert, so dass sie Haushalts- und Betreuungsleistungen zu günstigeren Tarifen anbieten können. Es gilt dabei zu unterscheiden, ob der der Fokus auf reinen Hilfeleistungen liegt (Arbeiten abnehmen), oder ob auch psychosoziale Betreuung berücksichtigt wird. Diese stellt im Gegensatz zu reinen Hilfeleistungen die Alltagsgestaltung und sozialen Aktivitäten der älteren Menschen ins Zentrum und unterstützt sie beim Erhalt ihrer eigenen Fähigkeiten.

Die private Finanzierung führt jedoch dazu, dass sich faktisch nur Personen mit einem gewissen Vermögen oder einer höheren Rente eine gute Betreuung leisten können. Die Konsequenzen daraus sind jedoch weder im Sinne der älteren Menschen noch der Gesellschaft: Erfolgt trotz nachweislichem Bedarf keine Betreuung, können Einsamkeit, eine verschlechterte Gesundheit bis hin zur Verwahrlosung entstehen und frühzeitige und vermeidbare Heimeintritte erfolgen.

Die Politik erkennt das Potenzial der Betreuung

Politisch sind Bestrebungen im Gange, diese Finanzierung zumindest schrittweise zu sichern. Greifen wir einige spannende Entwicklungen als Beispiele heraus.

Fortschritte gelingen – durch das Zusammenspiel von Praxis, Fachkreisen, Forschung und Politik

Die vielen Projekte und politischen Vorstösse zeigen deutlich die hohe Dynamik im Thema Betreuung. Fachverbände und Organisationen im Altersbereich engagieren sich für eine gute Betreuung im Alter, die allen zugänglich ist. Viele Städte, Gemeinden und regionale Verbunde haben das Thema Betreuung in ihren (Alters-)Strategien und Projekten verankert. Ebenso haben verschiedene Kantone das Thema aufgegriffen. Konkrete Entscheide auf Bundesebene sind jedoch noch ausstehend. Es braucht ein Zusammengehen von Entwicklungen in der Praxis, Erkenntnissen aus der Forschung und politischen Veränderungen auf allen drei föderalen Ebenen, damit die Versorgung der älteren Bevölkerung und damit ihre Sicherheit, Selbstbestimmung, psychische Gesundheit und ihr Mitwirken in unserer Gesellschaft gesichert und damit auch die Entlastung der Angehörigen realisiert werden kann. Eine gute Betreuung wird eine zentrale Rolle spielen, um sowohl das Potenzial der alternden Gesellschaft zu nutzen als auch die Würde, das Wohl und die Selbstbestimmung der älteren Bevölkerung zu sichern. Wenn es gelingt, den ungedeckten Betreuungsbedarf der älteren Menschen in den öffentlichen Dialog zu bringen, die Entwicklungen in der koordinierten Betreuung bei den Leistungserbringern und Fachverbänden sichtbarer zu machen, die Erkenntnisse aus der Praxis und Forschung zu vermitteln und diesen Dialog in die Politik zu tragen, sind substanzielle Verbesserungen möglich. Dazu braucht es neben der koordinierten Betreuung auch eine koordinierte Betreuungspolitik. Denn Betreuung ist ein zentraler Bestandteil einer erfolgreichen und zukunftsgerichteten Alterspolitik.

Quelle: Artikel aus dem Themenheft «Koordinierte Betreuung» in redaktioneller Zusammenarbeit der Paul Schiller Stiftung mit Artiset/Curaviva, Pro Senectute Schweiz, Alzheimer Schweiz, Gerontologie CH, Entlastungsdienst Schweiz, Schweizerisches Rotes Kreuz, senesuisse und der Spitex Schweiz (Dezember 2024).